: Die Stille ist die Sensation
■ Josef Wutz, Leiter des Hamburger Filmfestes, hat alle Skeptiker besiegt
Geschäftiges Treiben rund um die Zeise-Hallen in Hamburg-Ottensen. Es ist später Vormittag, und das Leben ist schön. Schön auch für Josef Wutz?
Josef Wutz sitzt in seinem Büro in eben den Zeise-Hallen, das mit seinen streng weißen Wänden an eine Mönchszelle erinnert. Als Mönch läßt sich Josef Wutz aber im Moment nun wirklich nicht porträtieren. Der 44jährige ist Geschäftsführer der Hamburger Filmfest GmbH, in dieser Eigenschaft setzt er auf die lustvollen Seiten des Lebens, weshalb er auf obige Frage durchaus und bestimmt nickt. Er habe im Moment „wenig Sorgen“, sagt Josef Wutz. Später führt er aus: „Bisher konnte ich noch immer ruhig einschlafen. Und ich bin jemand, der da sehr empfindlich ist.“
Selbst wenn man das Geklapper, das bekanntlich zum Handwerk gehört, abzieht, vermittelt Wutz das Bild eines Mannes, der gerade seine Hausaufgaben erledigt und deshalb entspannt dem Datum des 20. September entgegenblicken kann. Am 20. September beginnt das diesjährige Hamburger Filmfest.
Nun besitzen, könnte man denken, die Schlafrhythmen eines Hamburger Kulturfunktionärs ja nicht unbedingt gesteigerten Informationswert. Aber in diesem Fall haben sie in der Tat eine gewisse Aussagekraft. Denn die wirklich interessante Meldung ist zu diesem Zeitpunkt nicht, daß dieser oder jener Star, dieser oder jener Film zum Filmfest vom 20. bis zum 24. September die Freie und Hansestadt beehren wird. Die kleine Sensation, soviel läßt sich schon im Vorfeld sagen, ist, daß das Hamburger Filmfest im Jahr 1995 in ganz normalen Bahnen verlaufen wird. Um dies zu erläutern, lassen wir hier noch einmal, ein letztes Mal noch die gehässige Vokabel vom „Gurkenfestival“ fallen. Es wäre kein Wunder gewesen, hätte sie Josef Wutz um den Schlaf gebracht.
Gerhard von Halem hat diese Vokabel gebraucht. Er hat, um genauer zu sein, gesagt: „Jetzt kriegen die nur noch eine kleine Gurkennummer hin.“ Damit wollte er ausdrücken, daß das Hamburger Filmfest ohne seine Führung immens an Substanz einbüßen werde. Das war im Januar dieses Jahres gewesen, nachdem von Halem – im Hintergrund klaffte ein Defizit von 400.000 Mark im Etat – als Geschäftsführer des Filmfestes geschaßt worden war.
Olle Kamellen, natürlich. Aber daß diese Geschichte mittlerweile niemand mehr interessiert, eben das ist die kleine Sensation. Sie verdankt sich einzig der Arbeit von Josef Wutz. Denn die Querelen um Gerhard von Halem haben dessen Nachfolger verschärften Erfolgsdruck bei massiv verschlechterten Arbeitsbedingungen beschert. Er muß das ererbte Defizit in den zwei Jahren, die sein Vertrag läuft, ausgleichen. Er mußte seine Arbeit zu einem Zeitpunkt aufnehmen, an dem sie eigentlich zur Hälfte schon hätte geleistet sein müssen, in der Filmwirtschaft sind die Dispositionszeiten außerordentlich lang. Und er mußte in einem skeptischen Umfeld antreten. Bereits von Halems Vorgängerin Rosemarie Schatter war 1992 vorzeitig entlassen worden. 1993 war das Fest gleich ganz ausgefallen.
Schwierige Bedingungen also, in deren Rahmen Josef Wutz geschickt agierte. Die Mannschaft des Filmfestes hat der seit vielen Jahren im Filmgeschäft Tätige vollständig ausgewechselt. Beim Filmfest selbst setzt er allerdings keineswegs auf einen radikalen Neuanfang.
„Es ist kein neues Festival“, sagt er ausdrücklich. Er begreife das Filmfest aus der Tradition der Kinotage und des Low Budget Festivals heraus, aus denen es ja schließlich auch hervorgegangen sei: „Da knüpfen wir an.“ Die Notwendigkeit, Geld zu sparen, setzt Josef Wutz konsequent um. So nahm er es gar in Kauf, sich mit der schwierigen Schar der Journalisten anzulegen: Für die Akkreditierung sind seit diesem Jahr zehn Mark zu berappen.
Zudem: Im Gegensatz zu seinem etwas glamourös wirkenden Vorgänger liegt Josef Wutz daran, das Filmfest über vielfältige Bande in Hamburg zu verankern. Eine eigene Reihe ehrt die Filmpioniere Bodo Menck und Gyula Trebitsch, die nach dem Zweiten Weltkrieg Hamburg für einige Jahre zum Zentrum des deutschen Films machten. Gezeigt werden hier etwa Das Herz von St. Pauli oder Des Lebens Überfluß aus dem Jahr 1950, Filme also, in denen man wie nebenbei sehr viel vom damaligen Hamburg sieht. Und auch der neugeschaffene, während des Festivals zu vergebende Douglas-Sirk-Preis stellt sich bewußt in eine Hamburger Tradition. Um das zu beweisen, kramt Josef Wutz die Kopie einer Geburtsurkunde hervor: Hans-Detlef Sierck, der sich später Douglas Sirk nannte, wurde im Jahre 1897 in Hamburg-Eimsbüttel geboren.
Gleich zu Beginn des Gesprächs hatte Josef Wutz eingeschränkt: „Das jetzige Festival wird das sein, was in der Kürze der Zeit machbar war. Aber es gibt schon erste Schritte zu dem, was ich gerne hätte.“ Sein Wort in wessen Ohr auch immer. Denn wenn sich das Hamburger Filmfest endlich endgültig in Hamburg verankert, können wir demnächst auch in seinem Kontext tatsächlich über das reden, was am meisten interessiert: über Filme. Es sieht danach aus.
Dirk Knipphals
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