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Ein Lächeln für die Geschworenen

„Carlos“ spricht Frankreichs Justiz das Recht auf ein Urteil ab  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Er hat die Hornbrille gegen eine vergoldete Nickelbrille mit Bändchen hinter dem Nacken eingetauscht. Seine einst schwarzen Haare sind weitgehend ergraut und millimeterkurz geschoren. Aber seine Form ist die alte.

Mit einem Lächeln unter dem kleinen Schnäuzer tritt Carlos, mit bürgerlichem Namen Ilich Ramirez Sánchez, gestern am frühen Nachmittag in die Angeklagtenkabine vor dem Geschworenengerichtshof in Paris. Seine Gesichtshaut ist in den über drei Jahren in Isolationshaft ein wenig rötlich geworden. Mit demselben Lächeln begrüßt Carlos jeden einzelnen der sechs weiblichen und drei männlichen Geschworenen, die zu seinen Füßen nach vorn zum Richter defilieren.

Carlos steht in seiner Angeklagtenbox, während der Vorsitzende Richter die Geschworenen im üblichen Losverfahren auswählt. In anderen Prozessen entscheiden die Verteidiger, ob sie einen Geschworenen akzeptieren oder nicht. Hier ist es der Angeklagte selbst. Mehrfach sagt er, nachdem er in seinen Unterlagen geblättert hat: „abgelehnt“. Und der Geschworene muß zurück in den Saal gehen.

Der Venezolaner Carlos, der mehrere Sprachen fließend spricht und in seiner Isolierzelle Dutzende von Tageszeitungen und Illustrierten aus aller Welt liest, verteidigt sich selbst. Seine Anwältin kommt nach über einer Stunde zu Wort. Auf Übersetzung verzichtet Carlos. „Sie haben einen kleinen Akzent“, sagt der Richter, „sprechen sie deshalb ganz langsam.“

Den Angeklagten irritiert das nicht. Schon bei der Befragung zur Person zeigt er den Tribun, der in ihm ist. „Ihr letzter Wohnort?“, fragt der Richter. „Ich bin ein internationalistischer Revolutionär“, gibt Carlos zurück, „da hat man keinen festen Wohnsitz.“

Wenn er die Seine-Brücke überqueren und den Boulevard Saint Michel ein paar hundert Meter südlich gehen könnte, stünde Carlos in der winzigen Rue Toullier im Quartier Latin, wo am Abend des 27. Juni 1975 die Schüsse fielen, wegen derer er jetzt vor Gericht steht. Zwei Mitarbeiter der französischen Spionageabwehr DST und der Libanese, der sie zu der Wohnung geführt hatte, soll Carlos damals, als er den französischen Behörden noch weitgehend unbekannt war, erschossen haben. In Abwesenheit ist Carlos deswegen in Paris schon 1992 zu lebenslänglich verurteilt worden. In dem seit gestern neu aufgerollten Prozeß riskiert er wegen einer Strafmaßreform nur noch maximal 30 Jahre.

Aber Carlos will es gar nicht erst zu einer Verhandlung in der Sache kommen lassen. „Ich bin nicht legal hier“, eröffnet er eine lange Rede, bei der er sich aus der Angeklagtentribüne hinaus nach vorn zum Richter lehnt. Dann beschreibt er die Umstände, unter denen er in die Hände der französischen Justiz geriet. Die Drogenspritze, die Kapuze über dem Kopf, die Fesseln, der Sack, in den er von den Männern in Khartoum gestopft wurde, die ihn mitten in der Nacht zum Flughafen brachten, wo es weder Auslieferungsantrag noch einen gültigen Haftbefehl gegen ihn gab. „Das war eine Entführung“, sagt er, „ich weigere mich, das Recht der französischen Justiz anzuerkennen, ein Urteil über mich zu fällen.“

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