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"Werdet doch mal politisch!"

■ Gesichter der Großstadt: Die FU-Medizinstudentin Ulrike Gonzales reist unermüdlich durch die Republik, um den Uni-Streik am Leben zu halten. Dabei hat sie erfahren, daß Politik abhängig macht

So rastlos, wie sie sich eine Zigarette nach der anderen ansteckt, reist sie zur Zeit durch Deutschland. Osnabrück, Gießen, Frankfurt, Hannover, Münster, Trier – das waren ihre Stationen allein in den letzten zwei Wochen. Dazwischen erledigt sie ihre Büroarbeit in Bonn. Von dort fährt sie mit dem Nachtzug ins heimische Berlin, wo sie vom Bahnhof in die Klinik eilt und einen weißen Kittel überstreift. Den Untersuchungskurs besucht sie, um den Anschluß an ihr Medizinstudium nicht zu verlieren.

Im Oktober ließ sich Ulrike Gonzales in den Vorstand des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) wählen, dessen drei Mitglieder die einzigen studentischen Lobbyisten auf Bundesebene sind. Nach einem Monat kam der Uni-Streik. Jetzt rackert sie sich 70 bis 80 Stunden pro Woche für die Hochschulpolitik ab. Von Montag bis Donnerstag ist sie im Bonner Büro des fzs, das sie auch nachts nicht verläßt: Wenn sie morgens um sechs den Computer ausschaltet, steigt sie auf das Hochbett nebenan.

Keine Frage, daß ihr der Protest an den Unis nicht nur eine Last, sondern vor allem auch eine Lust ist. Er gilt ihr als Beweis, daß die „Kohl-Generation“ nicht unpolitisch ist. Auch wenn sich die Erstsemester von heute „nicht mehr in den Metaphern aus den 80er Jahren“ zwischen „Friedensbewegung und Strickpullis“ bewegten, machten sie ihre Sache „hervorragend“. Manche Demo gerät für ihren Geschmack aber allzu sehr in die Nähe der Love Parade. „Werdet doch mal politisch“, hat sie den Jüngeren neulich vorgehalten, die mangels politischer Erfahrung noch „Hilfestellung“ bräuchten. Inzwischen ist sie vorsichtiger geworden: „Es hilft nichts, die Leute anzupissen. Es ist blöd, als Funktionär rüberzukommen“.

Doch als „Altkader“ sieht sich Gonzales inzwischen selbst. 1991 begann sie ihr Medizinstudium an der FU, zwei Jahre später fand sie durch einen Uni-Streik zur Hochschulpolitik – nicht anders als die Protestgeneration von heute. „Als ich morgens in die Physiologie kam, war sie besetzt.“ Ab 1994 war sie drei Jahre lang Hochschulreferentin des Asta, ab 1995 vertrat sie für zwei Jahre studentische Interessen im Akademischen Senat. Jetzt sitzt sie im Kuratorium.

In den Gremien hat sie die Altachtundsechziger unter den Professoren, die gerne den Mythos von einst gegen die vermeintlich braven StudentInnen von heute ins Feld führen, nicht als Verbündete erfahren. Die ergrauten Protestler verstünden nicht einmal, worum es den StudentInnen gehe, zu unterschiedlich seien die Erfahrungen. „Damals hatten die Leute berufliche Perspektiven, heute kämpfen sie um ihre Zukunft.“

Daß einer von ihnen, FU-Präsident Johann W. Gerlach, den Protest heute durch seinen kurzen Draht zur Polizei eskalieren läßt, sieht Gonzales nicht ohne Freude. „Das schützt vor Vereinnahmung und macht die Fronten deutlicher.“ Mehr Radikalität könne man aber „den Leuten nicht einfach vorgeben, denn ich wünsche niemandem, von den Bullen geprügelt und rausgeschleift zu werden“.

Gleichwohl sind es solche Heldentaten, deren Mythos Gonzales gerne pflegt. Noch immer kann sie sich dafür begeistern, wie StudentInnen in den letzten Jahren das Abgeordnetenhaus in Berlin, das deutsche Konsulat in Amsterdam oder das Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg besetzten. Der Konsul war „richtig nett“, freut sie sich, und Böger „hat aus dem Gespräch richtig was gelernt“. Solche „minimalen Erfolge“, zu denen Gonzales auch die Abschwächung der Zwangsberatung an der FU zählt, motivieren sie zum Weitermachen.

Der Preis dafür ist hoch. Ungefragt klagt Gonzales, die „soziale Komponente“ komme doch sehr kurz. „Einen Menge Beziehungen“ seien zerbrochen, weil „der Mensch, mit dem man zusammen ist“, das nächtelange Rackern für die Hochschulpolitik „gar nicht mehr versteht“. Inzwischen ist Gonzales mit einem Mann liiert, der ebenfalls das Feld der studentischen Interessenvertretung beackert. „Wir unterhalten uns über nix anderes.“

Gibt es ein Leben nach der Hochschulpolitik? Gonzales ist jetzt im 13. Semester, voriges Jahr hat sie im dritten Anlauf die Zwischenprüfung bestanden. Der Untersuchungskurs ist ihre einzige Lehrveranstaltung in diesem Semester. „Politik ist zwar sehr wichtig im Leben“, hat sie in den letzten Wochen auf der Krebsstation erkannt, „aber es gibt noch andere wichtige Sachen“. Parteipolitik schreckt sie ohnehin ab, die Grünen sind ihr zu sehr „Mainstream“, die PDS ist ihr zu spießig. Sie möchte Ärztin, nicht Politikerin werden. Doch kaum hat sie das gesagt, wendet sie das Medizinische wieder ins Politische. Schließlich verlange der Eid des Hippokrates, „das Leben in den Dienst der Menschheit zu stellen“.

Abhängig von der Politik ist Gonzales im Moment mehr denn je – auch finanziell. Früher hat sie ihr Geld mit Nachtwachen verdient, der Asta zahlte nur 375 Mark Entschädigung für den monatlichen Aufwand. Jetzt erhält sie 1.200 Mark vom fzs, für die Klinik reicht die Zeit nicht mehr.

„Ein Jahr fzs, dann wieder studieren“, hatte sie sich im Herbst vorgenommen. „Aber wenn ich die Zeitung aufschlage und denke: Das kann doch nicht wahr sein – dann will ich wieder weitermachen.“ Ralph Bollmann

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