: Ruandas neuer Völkermord
Bis zu 1.000 Menschen, so berichten jetzt Überlebende, starben beim jüngsten Angriff von Hutu-Milizen auf Tutsi-Flüchtlinge im Nordwesten Ruandas ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Einfache Holzpflöcke in der Erde mit weißen Zetteln, auf denen handschriftlich die Namen der Toten stehen, erinnern im einstigen Flüchtlingslager Mudende in Ruanda an die Opfer des brutalen Gemetzels vom Donnerstag. Mit Keulen, Gewehren und Macheten fielen Hutu-Milizen hier über das mit 17.000 Insassen größte ruandische Lager für Tutsi- Flüchtlinge aus dem Kongo her. 272 Tote, lautete gestern die Mindestbilanz der Behörden, aber Überlebende sprechen von bis zu 1.000. Die Regierung des Kongo nennt sogar 1.643 und verlangt eine internationale Untersuchung.
Ein Zeuge, Boniface Ngarambe, sagte am Samstag in Kigali, er sei bei der Beisetzung von 841 Opfern dabeigewesen. Viele andere Lagerinsassen würden noch vermißt. Nachts, so Augenzeugen, habe die Armee lastwagenweise Leichen abtransportiert – aus Furcht vor Unruhen empörter Tutsi versuche Ruandas Regierung, die Opferzahl herunterzuspielen.
Unumstritten ist: Dies war der blutigste Milizenangriff in Ruanda seit dem Völkermord von 1994, als bis zu 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Und es war ein Angriff ganz nach Art des Genozids. Mehrere hundert Milizionäre griffen zuerst am Donnerstag im Morgengrauen das nahegelegene Gefängnis von Mutura an, wo Hutu-Häftlinge unter dem Verdacht der Beteiligung am Völkermord einsitzen, und befreiten oder töteten alle 407 Insassen. Dann rückten sie nach Mudende ein, wo Tutsi-Flüchtlinge leben, die Anfang 1996 vom damaligen zairischen Mobutu-Regime aus ihrer Heimat vertrieben worden waren und aufgrund der anhaltenden Unsicherheit im Osten Kongos noch nicht zurückgekehrt sind.
Augenzeugen zufolge dauerte das Töten den ganzen Tag. Die meisten Opfer wurden mit Macheten umgebracht. Wer sich wehrte, dem wurden die Hände abgehackt. Eine Frau wurde von oben bis unten in zwei Stücke geschnitten. Die Hütten der Flüchtlinge wurden mit Handgranaten in die Luft gesprengt und gingen in Flammen auf, oft mit den Bewohnern darin. Mütter wurden zusammen mit ihren Kindern in Plastikplanen eingewickelt und in Brand gesteckt. Die Angreifer hinterließen Plakate mit eindeutigen Parolen. „Tutsi Go Home“, stand darauf. „Sonst löschen wir euch alle aus.“
„Dies ist die Fortsetzung des Völkermords“, bilanzierte später der regionale Militärkommandant, Kayumba Nyamwasa. Seit Monaten schon greifen Hutu-Milizionäre, die mit den ruandischen Flüchtlingen aus Kongo/Ex-Zaire heimkehrten, vor allem im Nordwesten Ruandas wieder Tutsi an. Ihre Zahl wird auf 15.000 geschätzt.
Mudende war im August schon einmal Ziel der Milizen. Damals starben 140 Menschen. Jetzt ist das Lager leer. Die Überlebenden sind in strömendem Regen in das nahe Transitlager Nkamira geflohen. Viele waren halbnackt und hatten alles verloren. Verkohlte Leichen, verbrannte Hütten und improvisierte Gräber sind alles, was von Mudende noch übrig ist.
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