Willkommen im Kachiani-Club

Nach ihrer zweiten Niederlage hat die Bundesliga-Spielerin Ketino Kachiani-Gersinska kaum noch Chancen auf das Kandidatinnenfinale bei der Schach-WM der Frauen  ■ Von Hartmut Metz

Groningen (taz) – Um Himmels willen, bloß kein Mitglied des „Vera-Menchik-Clubs“ werden! In den dreißiger Jahren grassierte die Angst unter den Schachgroßmeistern, von diesem fiktiven Zirkel einverleibt zu werden. Hohn und Spott der Kollegen waren den armen Kreaturen danach sicher. Galt im Zeitalter der Minne das königliche Spiel als edler und geeigneter Zeitvertreib unter adligen Damen, verlor Schach zu Beginn des Jahrhunderts jegliche Bedeutung beim weiblichen Geschlecht. Das änderte sich beim Neujahrsturnier im englischen Hastings, wo Vera Menchik mit 17 Jahren ihren Feldzug begann.

Trotz ihrer 78 Siege, vier Remis und nur einer Niederlage bei sieben Damen-Weltmeisterschaften nahmen sie die Schach-Cracks nicht ganz ernst. Bis der erste verlor, dann der zweite... Alsbald war der „Vera-Menchik-Club“ ins Leben gerufen, in dem sich die Unterlegenen sammelten. Der fünfte Schachweltmeister der Geschichte, Max Euwe, verlor in vier Duellen gleich zweimal und gewann nur eine Partie – folglich bekam er die Präsidentenwürde aufoktroyiert. Aber auch Reschewsky, Colle, Sämisch, Tratakower und Mir Sultan Khan zählten zu Menchiks Opfern. Letzterer soll sich danach zwei Jahre lang nicht mehr nach Hause zurückgetraut haben, weil er in Indien die Häme seiner Landsleute fürchtete. Die Nachfolgerin der 1944 bei einem Bombenangriff auf London ums Leben gekommenen Menchik heißt heutzutage, zumindest in der Bundesliga, Ketino Kachiani-Gersinska. Als einzige Frau verbreitet sie unter den 223 männlichen Kontrahenten Furcht und Schrecken. Im Vorjahr trug die Muggensturmerin mit 9:6 Punkten maßgeblich zum vierten Platz ihres saarländischen Teams St. Ingbert bei.

Seit acht Tagen muß sich die 26jährige beim Kandidatenturnier im niederländischen Groningen gegen ihresgleichen beweisen. Xie Jun (China) und Maja Tschiburdanidse (Georgien) waren schon dort, wohin die acht anderen Großmeisterinnen wollen: auf dem WM-Thron. Um jedoch die Ungarin Zsuzsa Polgar ablösen zu können, gilt es erst mal, Rang eins oder zwei in dem kraftraubenden 18rundigen Turnier zu belegen. Die beiden Besten spielen dann 1998 die Herausforderin aus. Obwohl Ketino Kachiani-Gersinska nur Rang acht der Setzliste einnimmt, hatte sie fest an die Fortsetzung ihres Siegeslaufs geglaubt. „Ich will mich für das Kandidatenfinale qualifizieren“, strotzte die ehrgeizige Südbadenerin vor Selbstbewußtsein, nachdem sie bei den Offenen Bayerischen Meisterschaften Xie Jun um einen vollen Zähler distanziert hatte.

Der psychologische Vorteil ist aber spätestens seit Montag abend dahin. Trotz der weißen Steine unterlag die gebürtige Georgierin der chinesischen Ex-Weltmeisterin. Mit der zweiten Niederlage in Folge und 1,5:4,5 Punkten rutschte Ketino Kachiani-Gersinska auf Rang neun ab. Immer noch pocht unbarmherzig die Erinnerung an die zweite Runde im Kopf der Weltranglisten-14. „Ich hätte so leicht gewinnen können“, lamentierte sie nach der überflüssigen Niederlage gegen Schlußlicht Nino Gurieli.

Obwohl das Mammutturnier noch bis zum 30. Dezember läuft, scheint der Zug auch für das letzte verbliebene Mitglied der deutschen Delegation – Artur Jussupow scheiterte bei den Männern in der 3. Runde an dem Ungarn Zoltan Almasi – so gut wie abgefahren. Die Ukrainerin Alisa Galliamowa führt mit fünf Punkten, selbst Tschiburdanidse und Nana Joseliani (beide 4) sind von der zweifachen U20-Weltmeisterin kaum noch zu überflügeln.

Sollte Ketino Kachiani-Gersinska ihr großes Ziel verfehlen, hat das neue Jahr zweierlei Trost bereit. Zum einen kann sie ihren zweijährigen Sohn David wieder in die Arme schließen, zum anderen steht gleich im Januar die nächste Runde der Bundesliga an. Zeit, die Männer wieder zittern zu lassen und für den überfüllten „Ketino- Kachiani-Gersinska-Club“ weitere Zwangsmitglieder zu rekrutieren.