: Gebisse, künstlich und natürlich
■ Vom Gefallen des Vaters an seiner Nacktheit und dem Lachen des Mannes. „Nackte Väter“ heißt der neue Roman von Margit Schreiner. Lakonisch-bedeutsam und ein wenig exzentrisch
Der neueste Roman von Margit Schreiner ist soeben mit dem Aufmerksamkeit erheischenden Titel „Nackte Väter“ erschienen. Die Autorin hat sich mit ihren Büchern „Mein erster Neger“, „Die Rosen des Heiligen Benedikt“ und „Die Unterdrückung der Frau, die Virilität der Männer, der Katholizismus und der Dreck“ zu einer Trademark entwickelt: sogenannte konventionell erzählte Prosa, die sich, und das ist Schreiners eigentliches Markenzeichen, im Erzählfluß immer wieder ein bißchen gewagt, exzentrisch und (moderat) grausig zuspitzt. Die so erzeugten Spannungsmomente entladen sich, ohne den Leser allzusehr zu strapazieren, meist in Heiterkeit.
Der Roman beginnt mit dem Tod des Vaters der Ich-Erzählerin. Beim Begräbnis sieht die Mutter den geeigneten Augenblick gekommen, ihrer Tochter ein eher spezielles Andenken an den Vater zu übergeben. „Ich ahnte gleich, daß ich es besser nicht vor den Augen aller ansah. Also hielt ich den Gegenstand in meiner linken Hand, während ich mit der rechten die Hände der Trauergäste schüttelte. Als ich mich endlich abwenden und die schweißnasse Hand öffnen konnte – ich weiß noch, die Sonne kam gerade zwischen den Wolken hervor und die Vögel zwitscherten –, sah ich, daß ich ein künstliches Gebiß in der Hand hielt.“
Hierauf entrollt die Ich-Erzählerin ihre Erinnerung an den Vater ihrer Kindheit. Der Vater war schon 51 und hatte einen Herzinfarkt hinter sich, als seine Tochter auf die Welt kam. Selten nur wird das enge Verhältnis zwischen Vater und Tochter – durch die Mutter – gestört. Einmal befindet diese, die Tochter sei schon zu alt für Hoppe-hoppe-Reiter-Spiele, und ein anderesmal muß das Mädchen für ein paar Tage in ein Kinderheim, weil die Mutter ins Krankenhaus muß... Als der Vater, zu Beginn seiner langwierigen Alzheimer-Erkrankung, noch zu Hause ist, wiederholt sich diese erotische Aufladung der Familienidylle. Doch nun empfindet die erwachsene Tochter das Bedrohliche der Situation: Der verwirrte Vater geht des Nachts nackt durch die Wohnung und tritt an das Bett seiner Tochter und will sich zu ihr legen. Verschreckt versetzt die Erzählerin dem Vater einen Schubs und flüchtet sich auf die Toilette.
Die Erzählerin meint zu wissen, daß der Vater schon früher Gefallen am Nacktsein gefunden hatte. Sie kann sich an nächtelange Wortwechsel zwischen den Eltern erinnern, als eine angeheiratete junge Cousine in ihrem Tagebuch den pater familias beschreibt, wie er nackt und lächelnd Turnübungen macht... Margit Schreiners Erzählerin lernt nichts aus ihrer Geschichte. Sie beschreibt, was war oder was gewesen sein könnte. Die in der Zwischenzeit selbst Mutter gewordene Tochter macht sich als Erwachsene keinen Reim auf das Erinnerte. Auch die Gegenwart der Erzählerin bleibt im wesentlichen ausgespart. Alles, was man erfährt, ist, daß sie mit Mann und Kind in Berlin lebt, daß sie mit einer ebenfalls in Berlin ansässigen, befreundeten Schriftstellerin aus Österreich nach der Turnstunde ein Bier trinken geht. Die beiden reden einander merkwürdiges Zeug vor, unter anderem über namentlich nicht genannte österreichische Schriftsteller, was weder etwas zur Erhellung der Vaterfigur noch der Erzählerinnenfigur, noch zum ansonst stets vergnüglichen Tratsch über österreichische Schriftsteller beiträgt.
Den Titel „Nackte Väter“ versteht man zu Beginn als langsame Desillusionierung der Tochter, deren verklärte Sicht des Vaters durch dessen Krankheit und das langsame Sterben der Realität weichen muß. Doch offenbar ist die zu kompliziert gedacht: „Nackte Väter“ heißt vielleicht nur „nackte Väter“. Der Plural verdankt sich möglicherweise allein der merkwürdig lakonisch-bedeutsam geratenen Schlußszene: Die Erzählerin kommt des Nachts von einem Schriftstellertreffen zurück und wird von Tochter und Mann begrüßt: „Meine Tochter sitzt auf der Schulter meines Mannes, trommelt mit den Fersen auf seiner nackten Brust und lacht. Auch mein Mann lacht und zeigt sein vollständiges, makelloses Gebiß.“ Wer möchte den Bedeutungsgehalt dieses Gebisses genau erkunden? Stefanie Holzer
Margit Schreiner: „Nackte Väter“. Roman. Haffmans Verlag, Zürich 1997, 134 Seiten, 32 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen