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■ Realos gewinnen Einfluß: USA und Iran reden wieder miteinanderEnde der Eiszeit in Sicht

Anzeichen für einen Wandel gab es schon länger. Jetzt haben auch die Spitzenpolitiker beider Staaten deutlich gemacht, daß ein neuer Anfang bevorsteht. Die Eiszeit zwischen den USA und dem Iran geht zu Ende. Auch wenn spektakuläre symbolische Aktionen und eine echte Normalisierung wohl noch länger auf sich warten lassen, wird pragmatische Politik in beiderseitigem Interesse zunehmen. Tatsächlich sind es ja auch die Pragmatiker auf beiden Seiten, die diesen Prozeß vorangebracht haben.

In den USA ist das vor allem eine Gruppe von Außenpolitikern um den nach wie vor einflußreichen ehemaligen Sicherheitsberater Präsident Carters, Zbigniew Brzezinski. Brzezinski, der wie der frühere Außenminister Baker und Ex-Verteidigungsminister Weinberger auch als Berater eines großen US-Ölkonzerns seine Brötchen verdient, ist die starre Haltung der USA gegenüber dem Iran 18 Jahre nach der Besetzung der US-Botschaft in Teheran schon lange ein Dorn im Auge. Diese Politik, so sein Credo, schwächt die amerikanische Position im Wettlauf um die Ausbeutung der Rohstoffe am Kaspischen Meer und in Zentralasien. In Washington gibt es vermehrt Zeichen, daß die Clinton-Administration sich diese Position allmählich zu eigen macht. Das begann mit der stillschweigenden Zustimmung zu einer Gaspipeline von Turkmenistan durch den Iran in die Türkei und setzt sich in den Debatten um weitere Pipelinetrassen fort. Der Iran ist als mögliches Transitland nicht mehr tabu.

Die Realos im Iran wissen schon länger, daß ein wirtschaftlicher Aufschwung eine Reintegration in den Welthandel voraussetzt. Auch das gilt vor allem für die iranische Ölindustrie. Seit der Wahl Chatamis hat nun auch der Klerus um Chamenei zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Mehrheit der Iraner sich nicht mehr länger mit religiös-revolutionären Sprüchen abspeisen lassen wird. Während der religiöse Führer offiziell noch gegen den westlichen Satan wettert, sitzen die Unterhändler beider Seiten längst wieder zusammen. In Afghanistan suchen Iran und USA gemeinsam nach einer Lösung, und nach israelischen Informationen hat es bereits kurz nach der Wahl Chatamis auch bilaterale Treffen zwischen Unterhändlern aus Teheran und Washington gegeben. Es wird Rückschläge geben, es wird noch länger dauern, aber der Trend zu einer Normalisierung zwischen dem Iran und den USA und damit dem Westen insgesamt ist von den Hardlinern wohl nicht mehr zu stoppen. Jürgen Gottschlich

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