: Türkei boykottiert EU-Firmen
■ Die USA wollen im Konflikt zwischen der Europäischen Union und der Türkei vermitteln. Die Türkei verschärft den Ton und diskutiert einen Boykott gegen europäische Unternehmen
Brüssel/Ankara (AP/dpa) – Die Türkei hat keine Lust mehr, mit der Europäischen Union zu reden. Der türkische Außenminister Ismael Cem sagte gestern am Rande der Nato-Tagung in Brüssel, es liege nun an der EU, ihre Haltung zu überdenken. „Das Dritte-Klasse-Ticket, das uns im EU-Zug angeboten wurde, ist inakzeptabel“, erklärte der türkische Außenminister. Cem beteuerte gleichzeitig, daß sein Land trotz der Spannungen mit der EU die Ost-Erweiterung der Nato nicht blockieren werde. Die Türkei, sagte er beleidigt, halte einmal gegebene Versprechen ein.
Innerhalb der türkischen Staatsführung scheint die harte Haltung der EU gegenüber nicht unumstritten zu sein. Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel jedenfalls hat nach Informationen der Tageszeitung Radikal Regierungschef Mesut Yilmaz vor überzogenen Reaktionen gewarnt. Wie das liberale Blatt gestern berichtete, wurde ein vom Ministerrat erwogenes Embargo gegen europäische Firmen vor allem im Zusammenhang mit der Verteidigungsindustrie auf Intervention Demirels und des Parlamentspräsidenten Hikmet Cetin fallengelassen.
Das Massenblatt Sabah berichtete demgegenüber, Ankara habe „ein inoffizielles Embargo gegen die EU“ verhängt. Als erstes Unternehmen habe die Fluggesellschaft Turkish Airlines reagiert und Verhandlungen über den Kauf von fünf Airbus-Maschinen für je rund 200 Millionen Mark abgebrochen. Staatsminister Rifat Serdaroglu habe erklärt, auch wenn es keinen offiziellen Beschluß gebe, werde er „bei Ausschreibungen europäischen Firmen die Türen schließen“. Die linksliberale Cumhuriyet verwies auf Projekte auf den Gebieten Verteidigung, Energie, Straßen- und Brückenbau, die von diesem Boykott betroffen sein könnten.
Ungeachtet der türkischen Verstimmung hat Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) weitergehende Angebote der EU an die Türkei vorerst ausgeschlossen. Es sei nicht die „Zeit des Nachlegens“, sagte er gestern in Brüssel. Er erwarte, daß die USA der Türkei „gut zureden, damit sich die Lage deeskaliert“.
Die Vereinigten Staaten ihrerseits äußerten die Hoffnung, daß die Türkei trotz der ablehnenden Haltung der EU letztlich doch noch in die europäische Staatengemeinschaft aufgenommen wird. Das Außenministerium in Washington rief die türkische Regierung zur Besonnenheit auf. Überreaktionen seien nicht sinnvoll, sagte Außenamtssprecher James Foley. „Wir sind der Auffassung, daß die Türkei mit der Zeit eine starke und offene Perspektive für eine Mitgliedschaft in der EU haben sollte“, fügte Foley hinzu, die USA jedenfalls seien für „die größtmögliche Beteiligung“ der Türkei. Die US-Regierung werde mit der Türkei in den nächsten Tagen Gespräche führen.
Auf dem EU-Gipfel waren am Wochenende zehn ost- und mitteleuropäische Bewerberstaaten sowie Zypern als Kandidaten für die nächste EU-Erweiterungsrunde akzeptiert worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen