: Deutlicher Sieg für Vera Lengsfeld in Thüringen
■ Die Ex-Bündnisgrüne nimmt einem CDU-Bundestagsabgeordneten den Wahlkreis ab
Berlin (taz) – Es begann mit einem elektrischen Kurzschluß und endete mit einem politischen Paukenschlag. Aus drei BewerberInnen sollten die 50 Delegierten der CDU-Basisorganisationen im Wahlkreis Weimer-Apolda-Sömmerda ihren Direktkandidaten für die kommende Bundestagswahl küren. Prominenteste Aspirantin war die frühere DDR-Regimegegnerin Vera Lengsfeld, die vor einem Jahr spektakulär der Partei und Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen den Rücken gekehrt hatte und zur CDU gewechselt war. Um erneut in den Bundestag einziehen zu können, mußte sie am Montag abend den derzeitigen Weimarer CDU-Abgeordneten in Bonn, Heinz-Jürgen Kronberg, verdrängen. Monatelang hatten Kronberg und Lengsfeld in den Ortsvereinen für sich geworben. „Die waren alle mit den Nerven ziemlich fertig“, schilderte ein Teilnehmer die Atmosphäre am Montag, „die wollten es schnell über die Bühne bringen.“ Kaum war der dritte Mitbewerber ausgeschieden, ein ehemaliger Pressesprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, knallte es. Ein Kurzschluß legte die Beleuchtung lahm. Die Entscheidung, ob Vera Lengsfeld weiterhin eine Chance haben würde, im Rampenlicht der Bonner Politik zu stehen, mußte im Halbdunkel stattfinden.
Als dann das Notlicht lief und Nachttischlampen herbeigeschafft waren, erzielte Vera Lengsfeld ein Ergebnis, das sich sehen lassen konnte: Mit 32 gegen 18 Stimmen verdrängte sie den bisherigen Bundestagsabgeordneten Kronberg als Kandidaten für die Wahl im Herbst 1998.
Die Bewerbung von Lengsfeld hatte in den vergangenen Wochen in der Thüringer CDU-Basis zu teilweise heftigen Kontroversen geführt. Etliche CDU-Mitglieder fühlten sich übergangen; so wurde unter anderem kritisiert, die Kandidatur sei zentral vom CDU-Landesverband betrieben worden. Lengsfeld hatte dagegen wiederholt versichert, ihr sei von der Union vor ihrem Wechsel nie ein Bundestagsmandat garantiert worden. Amtsinhaber Kronberg war vorgeworfen worden, seinen Wahlkreis zu vernachlässigen.
Im Kampf um ein Direktmandat für den Bundestag tritt Lengsfeld gegen den SPD-KandidatenEdelbert Richter an, der bei der letzten Wahl über die Thüringer Landesliste in den Bundestag eingezogen war. Der Sozialdemokrat kommt wie die Ex-Grüne aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR. Gleichzeitig gehört Richter aber auch zu den Erstunterzeichnern der auch von Lengsfeld heftig kritisierten „Erfurter Erklärung“. Darin werden die Bonner Oppositionsparteien zur Zusammenarbeit mit der PDS aufgerufen, um einen Machtwechsel herbeizuführen.
Unklar ist derzeit noch, ob die Grünen in Thüringen auf einen eigenen Kandidaten in Weimar verzichten werden, um die Chancen des SPD-Kandidaten Richter zu erhöhen. Der wahrscheinlichste Anwärter bei den Bündnisgrünen, Rudolf Keßner, sagte der taz: „Es besteht gar kein Grund, Streß zu machen. Da wird ein Schauwahlkampf geplant, dadurch wird kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Wir sollten uns mit der Entscheidung viel Zeit nehmen – bis weit ins Frühjahr hinein.“ Die beiden Grünen-Landessprecher waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Lengsfeld hatte als maßgeblichen Grund für ihren Austritt bei den Grünen eine angebliche Annäherung der Partei an die PDS angegeben. Im Hinblick auf den Bundestagswahlkampf warf der SPD-Abgeordnete Edelbert Richter Vera Lengsfeld vor, mit den Gespenstern der Vergangenheit zu ringen. Der taz sagte er: „Wo liegt denn die Gefahr für die Demokratie von heute? Die Diktatur von gestern ist das nicht. Die Hauptgefahr heute liegt in der Dominanz des großen Geldes.“ Eine Volksfront-Strategie gegen seine Person zu führen, sei aussichtslos. „Die von Frau Lengsfeld verlangte reine Weste hab' ich nun mal. Da wird's ihr schwerfallen, an mir rumzufummeln.“ Patrik Schwarz
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