: Morgens Schule statt Hort?
■ Wenn Kinder nicht zur Schule gehen: Ein Besuch in drei Vormittags-Horten im Viertel
Keiner da? Am Dienstag früh um neun ist es ruhig auf der Hort-Etage im „Kinderhaus Sielwall“. Immerhin: Am Kindertisch neben einem dampfenden Becher Tee sitzt Nicole Klebs und macht ihre 'Hausaufgaben'. Schablonen für Schneemänner, Kleister für „unsere Pappmaché-Maria“: Die 23jährige Hortgruppenleiterin im Evangelischen Kindertagesheim bereitet sich auf den Nachmittag vor. Dann laufen hier zwanzig Kinder aus den umliegenden Grundschulen auf. Jetzt sind sie in der Schule – wo auch sonst. Ob Nicole Klebs da nicht auch besser aufgehoben wäre – direkt bei ihren Kids?
Diese Frage stellen sich derzeit die Träger der Bremer Horte. Denn das Amt für Soziale Dienste soll nach der Gebühren-Absenkung in den Kindergärten kräftig Kosten sparen. Summa summarum 8 Millionen Mark. Und auch die evangelische Kirche muß dieser Tage ihre restlichen Kirchensteuer-Groschen besonders gewissenhaft umdrehen. Einsparungen im Hortbereich wären denkbar, wenn man die Betreuung der rund 5.000 Hortkinder auf den Nachmittag beschränkt und den Vormittag weitgehend den Schulen überantwortet.
Dann könnte man freiwerdende Erzieherinnen aus den Kindertagesheimen – wie beispielsweise Nicole Klebs – morgens an die Schulen ausleihen, so das Gedankenspiel in den Kirchen und Behörden: Dort würden sie direkt vor Ort den LehrerInnen ein bißchen Arbeit abnehmen. Von der Freistunden- bis zur Einzelfallbetreuung. Vielleicht würde sich dann sogar zeigen, daß noch mehr als die 5.000 Kinder, die heute einen Hortplatz belegen, auf ein bißchen Alltagshilfe warten. Und mittags ginge es gemeinsam mit den Hortkindern zurück in die Kita.
Synergieeffekte nutzen, wäre die Devise! Eine saublöde Idee, findet Nicole Klebs. „Die Vorbereitung auf den Nachmittag fällt dann flach.“Soll sie ihr Programm für die Kids täglich neu aus dem Ärmel schütteln? Was wird aus den Elterngesprächen am Vormittag; wann die Überstunden fürs nächtliche Laternelaufen abfeiern? Und außerdem: So selten sei das nicht, daß hier auch vormittags zwei, drei der Horties antanzten. „Wo sollen die denn hin, wenn ihnen übel wird und zu Hause keiner ist?!“
Die Erzieherinnen in den evangelischen Horten wollen den Erst- bis Viertklässlern ein zweites Zuhause bieten – mit Wärmflasche und Tee, notfalls auch um neun Uhr morgens. Auch die Kollegin von Nicole Klebs, Jutta Blume, gesteht gerne, daß sie den Kindern tagsüber die Familie ersetzen möchte. Kaum vorstellbar für sie, daß das auf dem Schulhof noch möglich wäre: „Direkt nach Neujahr beginnen wir mit unseren Protesten.“
Um die Ecke in der Schule an der Schmidtstraße sieht man die Geschichte von der anderen Warte. In einem kleineren Nebengebäude am unteren Ende des Schulhofs, ist seit einigen Monaten eine Gruppe aus dem Hort in der Gleimstraße einquartiert. Es ist kurz vor zehn Uhr. Pause. Um die verschlossene Tür der „SHORTies“herum laufen Anna und Nina Rollschuh. Vor elf Uhr sei hier doch nie einer, glucksen die beiden, empört über soviel Unwissen. Sich krank fühlen vor elf Uhr, scheint's, ist nicht angesagt im Schulhort am Steintor. „Doch“, sagt Christel von Bloh, die Schulleiterin, damit würden die Schulen schon allein zurechtkommen: „Wir haben hier doch die besten Möglichkeiten, alle gemeinsam – Lehrer, Erzieher, Eltern – an einem Strang zu ziehen. Zum Wohle der Kinder.“Das würden die Erzieherinnen im Hort auf dem Schulgelände übrigens auch so sehen. Und wenn mal eine Lehrerin ausfällt? Eine Zusammenlegung mit der Parallelklasse geht allemal. Nein, Vormittags-Horte, möchte Frau von Bloh deutlich machen, sind nicht wirklich nötig.
Mehr als die Hälfte aller Bremer Grundschulen garantieren, zumindest auf den Papieren des Referats „Schule und Hort“bei Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD), inzwischen eine verläßliche Vormittagsbetreuung. Jede fünfte versteht sich heute schon als „volle Halbtagsschule“mit alternativem Unterrichtszuschnitt und mit eingeplanten Freiarbeits- und Ruhezeiten. Horte hingegen seien eigentlich Einrichtungen für Kinder „mit ergänzendem Erziehungsbedarf“, betont Christel Hempel-Wankerl vom Referat „Schule und Hort“in der Bildungsbehörde. Daß heute immer mehr Eltern auf das Angebot zurückgreifen, sei es, weil sie alleinerziehend sind, sei es, weil beide Elternteile arbeiten, „das macht uns große Probleme.“Deswegen gebe es heute sehr verschiedene Betreuungsvorschläge – bis hin zu Mittagstischen in der Schule: „Wir sind alle auf der Suche“.
Schülereltern der Bürgermeister-Smidt-Grundschule in den Wallanlagen haben sich selbst eine Lösung ausgedacht. Seit einem knappen Jahr gibt es hier einen Hort des Bremer Montessori Vereins. Ein Novum in Deutschland, betont Cornelia Haacke-Kern, die Vereinsvorsitzende. Die Einrichtung hat das Bildungsressort finanziert, für zweimal 12,5 Wochenstunden Betreuung kommt die Sozialsenatorin auf. Den Rest zahlen die Eltern. Cornelia Haacke-Kern, die als Lehrerin an der Schule an der Contrescarpe arbeitet, glaubt fest an die Zukunft ihres Projektes: „Schule, das muß doch mehr sein als bloßer Unterricht. Schon nach einem Jahr ist zu spüren, daß die Kinder im Hort ihre Schule ganz anders annehmen, als die, die mittags nach Hause gehen.“Und auch die Eltern seien begeistert; endlich wüßten sie immer, wo ihre Kinder stecken.
Doch morgens haben auch im Montessori-Hort die Kinder nichts zu suchen. Bei Corinna Bey stehen die Stühle um halb elf noch auf den Tischen. Der Blick geht auf den gepflasterten Schulhof – trotz Liebe zum Detail kann der rechteckige Hortraum seine Vergangenheit als Klassenzimmer nicht verbergen.
Gleich kommen die Erstklässler; aber die Kollegin hat sich krank gemeldet die Hortnerin ist im Verzug. Klasse fände sie ihre Arbeit, sagt Corinna Bey: nicht zuletzt wegen der Möglichkeiten, die die Schule mit ihrer Turnhalle, dem Werk- und Musikraum auch für das Nachmittagsprogramm bietet. Im Sommer aber würden sie trotzdem das Schulgelände oft – in Richtung Park oder zum Schwimmen – verlassen. Denn daß den Kids die Decke auf den Kopf fällt, wenn sie sich von morgens bis abends im gleichen Gebäude aufhalten, „das merkt man ihnen schon an.“ ritz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen