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„Lebenslänglich“ für Natalies Mörder

Das Landgericht Augsburg stellt bei dem 29jährigen Armin Schreiner „besonders schwere Schuld“ fest. Sozialprognose für den Mörder fällt ungünstig aus. Haftprüfungstermin frühestens in 18 Jahren  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

Es war 10.05 Uhr, als die Richter der 8. Schwurgerichtskammer den Sitzungssaal 201 betraten. Der Vorsitzende Richter Hans-Reiner Schultz verlas das Urteil gegen den 29jährigen Elektriker Armin Schreiner: „Lebenslänglich“ wegen Mordes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch und sexueller Nötigung sowie Freiheitsberaubung. Außerdem stellte der Vorsitzende fest: „Die Schuld wiegt besonders schwer!“

Reglos verfolgte der Verurteilte Armin Schreiner die Ausführungen des Vorsitzenden Richters. Schultz sagte in seiner Urteilsbegründung, die Schuld des Armin Schreiner wiege besonders schwer, weil es sich um einen ausgesprochen verwerflichen Tathergang gehandelt habe; weil hier ein völlig wehrloses Kind wahllos ergriffen und erbarmungslos und brutal behandelt wurde. „Die Gefühlsrohheit, die der Angeklagte gezeigt hat, ist nur schwer zu übertreffen“, sagte Schultz. Das Gericht sei davon überzeugt, daß die kommenden Jahre der Strafverbüßung einen Prozeß bei Schreiner bewirken müßten, seine Taten und die Auswirkung auf die Opfer zu verstehen. Die Sozialprognose für den Verurteilten falle ausgesprochen ungünstig aus. Er sei weit davon entfernt, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen. An der vollen Schuldfähigkeit von Armin Schreiner bestehe überhaupt kein Zweifel. Durch die Feststellung der „Schwere der Schuld“ sei eine Prüfung auf vorzeitige Haftentlassung erst nach achtzehn und nicht schon nach fünfzehn Jahren möglich, erläuterte Chefankläger Jörg Hillinger, der sich zufrieden zeigte. „Ich denke, dieses Urteil ist ein deutliches Zeichen für den Rechtsstaat und für die Gerechtigkeit in unserem Lande.“ Zufrieden mit dem Urteil äußerte sich auch die Nebenklägerin, Rechtsanwältin Marion Zech. „Es macht nichts ungeschehen, aber es beendet eine Zeit des unfreiwilligen In-der-Öffentlichkeit-Stehens der Familie Astner.“ Für fünfundzwanzig oder gar dreißig Jahre habe dieser Mann nun keine Aussicht mehr, aus dem Gefängnis freizukommen, meinte die Anwältin.

Weder Christine noch Hannes Astner zeigten irgendwelche Regungen im Gerichtssaal. Nach den Tumulten zu Prozeßbeginn war es am Tag der Urteilsverkündung äußerst ruhig. Dabei war der Andrang ausgesprochen groß. Schon eine Stunde vor der Urteilsverkündung wurde über Megaphon bekanntgegeben, daß es für den Natalie-Prozeß keine Platzkarten mehr gebe. Der Rechtsanwalt von Armin Schreiner, der durch einen umstrittenen Beweisantrag und einen Befangenheitsantrag gegen die Gutachter für eine erhebliche Verzögerung des ansonsten zügig verhandelten Verfahrens gesorgt hatte, meinte zum Urteil: „Das Urteil ist sehr sachlich und routiniert begründet.“ Auch Natalies Großvater Erich Kettner zollte dem Gericht Respekt. Er meinte, „im Rahmen dessen, was unser Rechtsstaat zuläßt, ist das in Ordnung“, gleichwohl dürfe ein solcher Täter nie mehr, auch nicht nach zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, auf freien Fuß kommen.

Noch schärfer äußerten sich zahlreiche Zuhörer nach dem Ende des Prozesses. Bereits während des Verfahrens war es wiederholt zu tumultartigen Szenen gekommen. Richter Schultz berichtete außerdem, daß zahlreiche anonyme Briefe bei der Kammer eingegangen seien, in denen – großteils gespickt mit Nazi-Gedankengut – das Gericht zur Lynchjustiz aufgefordert wurde. Der Vorsitzende Richter wies ausdrücklich darauf hin, daß es eine Illusion sei zu glauben, höhere Strafen würden Verbrechen wie die des Armin Schreiner verhindern können.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Mordes an Natalie Astner hatte der Bundestag zum 1. Januar 1998 die Strafen für sexuellen Mißbrauch an Kindern erhöht. Für das Verfahren gegen Schreiner hätte sie jedoch ohnehin kaum Auswirkungen gehabt, meinte Richter Schultz. Für einen derartigen Mord sei die gesetzliche Höchststrafe angemessen.

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