: Aus dem Ego-Ei gepellt
Dornröschen auf hongkong-japanisch – aber ungeküßt: „Kitchen“ von Yim-Ho entdeckt die Wohnküche als Zufluchtsort vor der großen, bösen Welt ■ Von Gudrun Holz
In Japans Mädchenkreisen haben die Bücher von Fräulein Banana Yoshimoto Kultstatus. Längst ist die Tatsache, daß sie die Tochter eines bekannten Literaturkritikers ist und ihr Vorname nicht Banana, sondern eigentlich Mahoko, zur Fußnote geworden. Ab sechs Millionen verkaufter Exemplare war aus der Mittzwanzigerin in der japanischen Presse längst das „Phänomen Banana“ gekürt worden. Mit ihrem aus dem shojo manga, einer speziell mädchengerechten Sorte japanischer Comics, ausgeborgten Handlungsrepertoire, Vokabular und Jargon bieten diese Bestseller, allen voran „Kitchen“ (1988, deutsch 1992 – Yashimotos größer Erfolg), die ideale Grundlage für die Verfilmung, sozusagen die Rückübersetzung in ein artverwandtes Medium.
Dem japanischen Kult der Kindlichkeit folgend, der unter dem Begriff Buriko firmiert, ist das shojo manga noch mal eine besondere Sache: Unklarheit der sexuellen Identität, Rollentausch, poetisch verbrämter Gefühlsüberhang und eine Wunschwirklichkeit, die vor allem den männlichen Figuren zarte, unmachistische Züge verleiht. Tatsächlich legt Giorgio Amitrano in einem begleitenden Nachwort nahe, daß ein bestimmter manga-Comic von 1976 Yoshimoto als Vorlage diente. Wie in „Kitchen“ ist die sanfte, einfühlsame Mutterfigur eigentlich ein Mann, der aus Gram über den Tod der Gattin die Mutterrolle übernommen hat.
Als halbwaches Dornröschen schlafwandelt die kindliche Heldin von „Kitchen“ monologisierend durch den kulissenhaften, wie aus Reklamewelten zusammengestellten Roman. Maß aller Dinge ist die Küche, „der liebste Platz auf dieser Welt“. Nach dem Tod der Großmutter wird ihr dieser Ort erst recht zur familiären Chiffre. „Es war eine gute Küche“, stellt sie anerkennend fest, „ich war sofort verliebt“, als sie das erste Mal die Wohnküche ihrer zukünftigen Wahlfamilie in Augenschein nimmt und als passables Nest erkennt.
Mit der Verfilmung nun hat der Hongkong-Regisseur Yim-Ho zwei Veränderungen zum Roman vorgenommen. Erstens verlegte er die Handlung vom Tokio der Endachtziger ins Hongkong der Neunziger, zweitens macht er aus dem aus Mädchensicht geschriebenen monologischen Text ein atmosphärisches Konzentrat, das die Befindlichkeit der Heldin folienartig über den Film legt, aber die Fakten und Anschlußkommentare ihrem Quasi-Adoptivbruder Louie (Jordan Chan) in den Mund legt.
Ein Kompromiß, der die Hypersensibilität des Mädchens, das hier Aggie (Yasuko Tomita) heißt, die Kulleraugen immer weit aufsperrt, den Regen bereits riecht, bevor er fällt, und am Ohrgeruch erkennt, ob jemand lange keinen Sex hatte, in ästhetische Bildfolgen und kontrastreiche Farborgien übersetzt. Die Backfisch-Tristesse, die hier noch von langsamen Kamerabewegungen und coolen Saxophonklängen unterstützt wird, konnte so hinübergerettet werden.
Die Wohnung von Louie, einem Chamäleontyp irgendwo zwischen Babypunk und Technoknabe, und seiner Mutter, die vorher sein Vater war, Emma (Law Kar Ying, sehr damenhaft) hat lauter Übergänge, offene Durchsichten, kurz: ist ein optischer Designerhit (Ausstattung: James Leung, Jason Mok). Mittendrin steht ein Riesensofa, das Aggie sofort zu ihrer Plattform macht. So ist die Küche immer in Sichtweite. Das blaue, bluesige Licht, in das die Räume getaucht sind, hellt sich immer dann auf, wenn sich in der Küche was tut und Aggie ihrer Kochleidenschaft nachgeht. Das Nesting kann beginnen. Langsam kraucht sie aus ihrer Ego-Eipelle, anstatt wie zuvor auf dem Dach herumzuspazieren, mit den Händen nach dem Mond zu greifen oder bei geöffneter Kühlschranktür im herausfallenden Lichtschein zu schlafen, „in eine Wolldecke gekuschelt wie Linus aus dem Comic strip“.
Mit Verlassen des Kokons tritt ihr dann auch gleich die Zwiespältigkeit des Erwachsenendaseins entgegen. Emma wird von einem verwirrten Verehrer erschossen. Eine komplizierte Verliebtheit zwischen den zwei Waisenkindern kommt in Gang. Aber spätestens nach der whhhooschhh schallenden Ohrfeige, die ihr die eifersüchtige Jenny (Karen Mok, „Fallen Angels“) verpaßt, ist klar: Auch am Schluß wird das sentimentale Grundmotiv von Buch und Film, die regressive Sehnsucht nach einer Welt rosiger Unschuld, nicht vorbei sein. Im Gegenteil.
„Kitchen“. Regie: Yim-Ho. Mit Yasuko Tomita, Jordan Chan u. a. Hongkong 1996, 124 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen