: „In China wartet ein riesiger Markt auf uns“
■ Jürgen Huppenbauer vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft über die Auswirkungen des WTO-Abkommens zur weltweiten Liberalisierung von Finanzdienstleistungen
taz: Was bedeutet die Einigung der Welthandelsorganisation WTO über die Liberalisierung von Finanzdienstleistungen für die Normalverbraucher?
Jürgen Huppenbauer: Die Normalverbraucher profitieren indirekt. Denn es besteht die Chance, daß die Industrie durch das Abkommen Kosten vermeidet und Produkte dadurch billiger auf den Markt bringt.
Unmittelbar von großer Bedeutung ist das Abkommen für Handel und Industrie. In einer Zeit, in der Produkte an einem Ort vorfabriziert und dann anderswo zusammengebaut werden, ist es für Unternehmen enorm wichtig, daß sie Risikoabsicherung für den gesamten Prozeß bei einer einzigen Versicherung bekommen können. Wenn zum Beispiel ein deutsches Unternehmen in Brasilien und Indonsien produziert, will es von seinem Hausversicherer in diese Länder begleitet werden. Und es will nicht gezwungen sein, zusätzlich in anderen Ländern Versicherungsschutz bei einer staatlichen Monopolversicherung zu nehmen oder dort mehr Steuern auf die Prämien zu zahlen, weil er bei einem ausländischen Versicherer versichert ist. Wenn die WTO-Verhandlungen jetzt gescheitert wären, wäre eine Stagnation sicher gewesen.
Werden durch die jetzt angeregte internationale Konkurrenz Versicherungen auch für Privatkunden billiger und der Service besser?
In Deutschland ist das durch das WTO-Abkommen nicht zu erwarten. Denn die darin festgelegten Freiheiten beim Marktzugang gibt es in der EU seit Jahrzehnten. Hier kann jeder ausländische Versicherer zu den Konditionen arbeiten, die für europäische Unternehmen auch gelten. Der Wettbewerb kam hierzulande übrigens weniger dadurch zustande, daß große ausländische Versicherungen nach Deutschland gekommen sind. Viel wichtiger war der Abbau von staatlicher Aufsicht.
Wohin werden die deutschen Versicherungsunternehmen expandieren?
In Lateinamerika sind Brasilien, Argentinien und Chile von besonderem Interesse. In Asien sind es vor allem die sogenannten Schwellenländer Philippinen, Indonesien Malaysia und Korea. Aber natürlich auch Japan.
Was bedeutet die WTO-Einigung für die Privatleute in Chile oder Indonesien?
Wenn ein deutsches Unternehmen sich entscheidet, in diesen Ländern Versicherungen zu verkaufen, dann wächst die Auswahl für die Kunden. Die Anbieter werden in der Regel aber auftreten wie nationale Unternehmen, so daß der Versicherte gar nicht merkt, daß er bei einem ausländischen Unternehmen versichert ist – so wie die Kundschaft eines deutschen Versicherers keine unmittelbaren Auswirkungen feststellen konnte, als die Versicherung von einem französischen Konzern aufgekauft wurde.
An anderen Stellen sind Vorteile für die Bevölkerung auch auf dem Arbeitsmarkt spürbar. In Ungarn zum Beispiel fließen 80 Prozent der Prämieneinnahmen aus dem Versicherungsgeschäft in Unternehmen, die zu 100 Prozent von ausländischen Versicherern gehalten werden. Die Ungarn sind glücklich darüber. Denn die Versicherungen müssen die Prämien, die sie einnehmen, in der Regel in der Währung anlegen, in der sie das Risiko übernommen haben. Auch entstehen Arbeitsplätze in Ungarn. Und zum anderen gibt es einen soliden Versicherungsschutz.
Versicherungen kaufen also zunehmend Unternehmen aus anderen Branchen oder gründen welche.
Das ist nicht zwingend. In der Regel müssen Versicherungen ihre Kapitalanlagen mischen und streuen. Das Geld muß sicher angelegt werden, damit es im Schadensfall auch verfügbar ist. Außer in Aktien wird es auch in Schuldverschreibungen des Staates und in Immobilien angelegt.
Die Versicherungswirtschaft weltweit erwirtschaftet schon jetzt 3,5 Billionen Mark im Jahr. Geht es nach dem WTO-Abkommen weiter steil bergan?
Tendenziell wird das Versicherungsgeschäft weiter zunehmen. Und wenn erst China und Rußland in der WTO teilnehmen, dann ist das ein zusätzlicher riesiger Markt. Denn wenn der Lebensstandard dort wächst, wird damit das Bedürfnis nach Risikovorsorge zunehmen. Interview: Annette Jensen
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