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■ Das Fest der Liebe mobilisiert in der Hauptstadt Menschen aller Sorten und Herkünfte, sich festlich auszustechenBerliner Weihnachtsdekorationsübertrumpfungsorgien

Entnervt rennt man durch die Stadt und kauft Sachen für die ferne Familie, die man zu Weihnachten zu besuchen pflegt. Sachen, von denen man weiß, daß sie eher auf Gleichgültigkeit stoßen, genauso wie man selber für die Sachen, die man dann kriegt, eher selten Verwendung hat. Das macht man, weil es irgendwie völlig deprimierend wäre, gar nichts zu kaufen und zu kriegen. Andererseits ist Weihnachten auch die Zeit der immateriellen Schönheiten, die man sich für Geld nicht kaufen kann. Überall in Berlin, vor allem in den Problembezirken, blinken chinesische Weihnachtsketten in zwölf verschiedenen Weihnachsliederrhythmen, umgeben von interessantem Weihnachtsgemüse.

Seltsam, daß das Privatgelichter eigentlich viel aufwendiger ist als die von der öffentlichen Hand hingestellte Dekoration, die man als aufgeweckter Teenager gern mit Steinen zu zerdeppern pflegt. Während die Weihnachsstimmungsgirlanden in der Friedrichstraße zum Beispiel ziemlich armselig daherwinseln, geben sich die Ausstattungen in den Hochhausfenstern des sozialen Wohnungsbaus ein paar hundert Meter davor sehr verschwenderisch.

Nachgerade irrsinnig wird alles zugelichtert von verseltsamten Berlinern, die, einer krankhaften Verschüchterung zum Trotz, dennoch freundlich grüßen wollen aus ihren Zellen der Entfremdung. Manche Familien liefern sich bei den hiesigen Weihnachstfensterdekowettbewerben – etwa am Neuköllner Richardplatz – spannende Weihnachtsfensterdekoübertrumpfungsorgien. Die hiesige Boulevardpresse verspritzt dann gern Gift, um die Dekowettkämpfer anzufeuern.

Wenn dann wieder das Fenster gegenüber gewann, fließen bittere Tränen, und die Verliererkinder weinen wegen dem Spott und Hohn ihrer Mitschüler. Die private Weihnachtsdeko gehört zu den immateriellen Geschenken, die man sich zu Weihnachten so macht. Schön und sehr zu empfehlen im Reich der immateriellen Überraschungen ist auch der InternetFlorist, der Weihnachtsbuketts Freunden und Feinden auf den Computer schickt. Weihnachtsmänner sind auch prima. „Engel werden nur paarweise – zusammen mit einem Weihnachtsmann – vermittelt“ (Studentenwerk Berlin).

Die „perversen Weihnachtsmänner“ machen in Marburg viel Unsinn, und neulich in der Kneipe hatte ich einen batteriebetriebenen Weihnachtsmann gekauft mit Glöckchen. Wenn man den Weihnachtsmann anmacht, gibt's plärrend-fauchend „Jingle Bells“. Dazu wackelt er lustig mit der Glocke und marschiert furchterregend voran, so als hätte er ein mordlüsternes Beilchen in der Hand statt der Rute. Als ich den Weihnachtsmann „Tokyo“ mal vorführte, weinte der danach den ganzen Nachmittag und wollte nicht mehr Freund mit mir sein. Traurig zwar, doch ich verstand ihn ganz gut.

Wenn der echte Weihnachtsmann meiner Kindheit kam, nachdem der Vater in den Keller gegangen war, um die Heizung zu kontrollieren, hatte ich auch immer fürchterliche Angst und flüchtete unter den Wohnzimmertisch, wenn der komische Mann mit der komischen Stimme gewalttätige Gedichte hören wollte: „Lieber guter Weihnachtsmann. Schau mich nicht so böse an...“ Vor zwei Jahren dann gelang es meiner kleinen Nichte, dem Weihnachtsmann seine entmenschte Maske vom Gesicht zu reißen. Detlef Kuhlbrodt

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