piwik no script img

Nazis beschimpfen den Staatsanwalt

■ Die mysteriöse Geschichte um die beschlagnahmte Hitler-Büste: Sie stammt von einem vorbestraften Hamburger Antiquitätenhändler, stand aber vermutlich nicht in der Reichskanzlei

Nur Hans-Jürgen Rippe, Chef der Abteilung für Staatsschutz, hat den Schlüssel für den schweren Eisentresor im vierten Stock des Polizeipräsidiums. Eingehüllt in eine beigefarbene Wolldecke liegt hier seit knapp vier Wochen die Hitler-Büste von Arno Brecker, die Ende November in dem Bremer Auktionshaus Bolland & Marotz beschlagnahmt wurde. Der Hitler-Kopf aus Bronze, den Breker laut Signatur 1937 modelliert haben soll, hat die Wirren der Zeit offenbar gut überstanden. Nur ein tiefer Kratzer am rechten Nasenflügel verunstaltet das Antlitz Hitlers.

Seitdem er die Büste beschlagnahmt hat, muß sich Staatsanwalt Uwe Picard am Telefon Beleidigungen anhören. Erst vor zwei Tagen hat ihn ein Anrufer beschimpft, weil er es „gewagt“habe, den „Kopf unseres Führers und Reichskanzlers“zu beschlagnahmen. Das Amtsgericht hat die Beschlagnahmung inzwischen für rechtens erklärt, weil die Büste aller Wahrscheinlichkeit nach Eigentum der Bundesrepublik ist. Das will der Hamburger Antiquitätenhändler Andre Hüsken, der die Büste bei Bolland & Marotz verkaufen wollte, nicht hinnehmen. Er will jetzt auf Herausgabe klagen, um sie zu verkaufen.

„Das hat nichts mit Verherrlich-ung der Nazi-Zeit zu tun“, sagt Hüsken. Der „Skandal“sei vielmehr die Beschlagnahmung des Kopfes durch die Staatsanwaltschaft. „Im Dritten Reich hat man unbequeme Kunst auch beschlagnahmt“, empört er sich. Nazi-Devotionalien seien nicht sein Metier, versichert Hüsken. „Die Nazis haben meine ganze Familie ausradiert. Mein Großvater war Kommunist und ist in Bautzen mit der Guillotine hingerichtet worden.“Er habe den Kopf lediglich vor vier Jahren von seinem Onkel geerbt.

In der Branche ist Hüsken kein Unbekannter. 1989 wurde er zu zwei Jahren auf Bewährung und zu 50.000 Mark Geldstrafe verurteilt, weil er NS-Dokumente, die aus dem Document-Center in Berlin gestohlen worden waren, verkauft hatte. Der Richter sprach damals von einer „schlimmen Erscheinungsform der kommerziellen Verwertung.“

Hüsken schweigt einen Moment, als er auf das Urteil angesprochen wird. „Ich habe nicht gewußt, daß die Unterlagen gestohlen waren“, sagt er schließlich. „Außerdem ist das lange her. Graben Sie jetzt keine Leichen aus.“Er habe die Büste von seinem Onkel, versichert Hüsken nochmal. Woher sein Verwandter den Kopf habe, wisse er nicht. „Die stand schon auf dem Dachboden meines Onkels als ich noch klein war.“Mittlerweile sei sein Onkel so schwer krank, daß man ihn nicht mehr befragen könne.

Auch der Auktionskatalog von Bolland & Marotz gibt keinen Aufschluß über die Herkunft der Skulptur. „Bekannt sind zwei Exemplare, eines davon befand sich in der Berliner Reichskanzlei“, preisen die Auktionare die Büste an. Doch in dem Nachschlagewerk, auf das sich der Katalog bezieht, ist keine Rede von zwei Exemplaren. Im Allgemeinen Künstlerlexikon heißt es, italienische und französische Kriegsgefangene hätten Modelle Brekers in Stein und Bronze vergrößert und vervielfältigt, darunter auch die 1941 entstandene Hitler-Büste. Dieser Hinweis spricht eher dafür, daß es zwei Fassungen des Kopfes gibt, eine von 1937 und eine von 1941.

Auch Staatsanwalt Picard geht mittlerweile nicht mehr davon aus, daß die beschlagnahmte Hitler-Büste in der Reichskanzlei gestanden hat. Ein Foto aus dem Jahr 1945, das ihm das Historische Museum in Berlin zugeschickt hat, zeigt einen russischen Schriftsteller, der die Hitler-Büste unterm Arm aus der Reichskanzlei trägt. Das Original ist vermutlich in Rußland vernichtet worden“, so Picard. „Die Büste, die wir beschlagnahmt haben, ist viel größer und zu schwer, um sie unterm Arm zu tragen.

Ein weiterer Hinweis auf die Herkunft der Hitler-Büste kommt nach Recherchen der taz aus Dresden. Dort wurde 1936 das Luftgau-Kommando 4 eingeweiht. Im ersten Obergeschoß stand im Großen Sitzungssaal eine Hitler-Büste von Arno Breker. Das beweist ein Foto aus dem Jahr 1939, das in einer Diplomarbeit über die Architektur des Stützpunktes abgebildet ist. Als die Landesregierung 1946 in das Gebäude einzog, war die Büste allerdings schon verschwunden, bestätigt Mario Förster, Pressesprecher der Bundeswehrverwaltung, die heute in dem Gebäude untergebracht ist. Sollte diese Büste jetzt tatsächlich in Bremen aufgetaucht sein, hätte die Bundeswehr „selbstverständlich“kein Interesse an der Herausgabe, betont Förster.

Einer, der die dagegen Büste „unbedingt“haben will, weil sie ihn „von je her fasziniert“hat, ist Ren Freiherr von Godin aus Berlin. „Nach den Reichsvorschriften von 1935“sei er Jude, betont von Godin, der Vorsitzender des Vereins „Jüdisches Erbe“ist. 80 Mitglieder in Frankreich und Deutschland zähle sein Verein, der „Grundlagen“dafür schaffen wolle, daß „die Diskussion endlich in die richtige Richtung geht.“Was heißt das? „Hitler war nicht der alleinige Verbrecher. Es kann nicht sein, daß einem die Verantwortung für alles gegeben wird.“Auch die Gestapo hätte „nicht um jeden Preis Recht gebrochen“, ist sich der Geschichtswissenschaftler sicher. Hitlers Buch „Mein Kampf“sei nichts anderes als Oswald Spenglers 1918 und 1920 erschienes zweibändiges Werk „Untergang des Abendlandes“. Deshalb will von Godin den Kopf des Diktators ins Museum stellen. In welches Museum will Godin nicht verraten. „Lassen Sie sich überraschen.“

Kerstin Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen