: Bei den Flics sitzt die Pistole locker
In Frankreich haben Polizisten in zwei Nächten zwei Jugendliche erschossen. Die Täter sind vom Dienst suspendiert worden – aber in den verarmten Vorstädten von Paris drohen Jugendproteste und Randale ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Gleich zweimal binnen 24 Stunden haben französische Polizisten in dieser Woche Vorstadtjugendliche erschossen. In der Nacht zu gestern erschoß ein Polizist in einer Wache in Lyon einen zuvor festgenommenen 24jährigen mit dessen eigener Waffe. In der Vornacht hatten Polizisten an einer Straßensperre in Dammarie-les-Lys in der Banlieue von Paris den 16jährigen Abdelk getötet. Beide Todesschützen sind vom Dienst suspendiert. Der Lyoner Polizist war gestern in Haft.
Kaum war die Nachricht vom Tod des 16jährigen Abdelk bekannt geworden, gingen in Dammarie-les-Lys, 40 Kilometer südlich von Paris, Dutzende von Jugendlichen auf die Straße, zündeten Autos an und zerstörten ein Einkaufszentrum. Gestern suchte der örtliche Bürgermeister die Unterstützung von Bürgerinitiativen und Sozialarbeitern, um weitere Randale zu verhindern.
Der in der Nacht zu vorgestern erschossene 16jährige Abdelk hatte am Steuer eines unbeleuchteten Golf GTI gesessen und nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei versucht, eine Barrikade zu durchbrechen. Als er in großer Geschwindigkeit auf ein Trottoir fuhr, um zwei quergestellte Polizeiautos zu umfahren, schossen zwei Polizisten durch seine Windschutzscheibe direkt auf Abdelk. Er war auf der Stelle tot. Sein 19jähriger Beifahrer Djamel erlitt bei dem darauffolgenden Unfall leichte Verletzungen.
Die Polizei will die beiden Jugendlichen, die offenbar nicht bewaffnet waren und deren Auto von einem Freund geliehen war, seit Jahren gekannt haben. Beide Jugendliche sollen lange Strafregister haben. Unter anderem soll Abdelk im zarten Alter von 13 Jahren Schüsse auf die Wohnung eines (abwesenden) Polizisten abgegeben haben. Djamel soll im vergangenen Frühling von einer Brücke eine Betonplatte auf ein Polizeiauto geworfen und dabei eine Polizistin verletzt haben.
Über den tödlichen Schuß in der Wache in Lyon gab die französische Justiz gestern nur bekannt, daß es sich um einen „schweren Fehler im Dienst“ handele. Das 24jährige Opfer war offenbar kurz zuvor zusammen mit einem anderen Jugendlichen festgenommen worden. Die beiden Festgenommenen sollen die Todeswaffe dabeigehabt haben.
Innenminister Jean-Pierre Chevènement von der sozialistennahen „Bürgerbewegung“ hatte im Oktober bei einem mit der Regierungsspitze abgehaltenen Kolloquium die Gründung eines „Sicherheitsrates“ angekündigt, der das „natürliche Bürgerrecht auf Sicherheit“, wie Premierminister Lionel Jospin es nennt, durchsetzen soll. Die Regierung kündigte an, daß gewalttätige Jugendliche künftig mit „der ganzen Wucht des Gesetzes“ bestraft werden sollen.
Was Innenminister Chevènement gegen die ihm unterstellten lebensgefährlichen Polizisten unternehmen will, hat er bislang nicht mitgeteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen