: Hier geboren, aber keine Perspektive
■ Familie H. aus Walle bittet um Gnade: Sechs Kindern und ihren Eltern droht nach fast zehn Jahren in Deutschland die Abschiebung in den Südlibanon / „Wer da lebt, hat ständig Angst vor Minen“
Abdul Nabi H. will seine Kinder vor dem Schlimmsten bewahren – vor der Rückkehr in den Libanon. Von dort war der 46jährige Familienvater 1988 nach Deutschland gekommen. Offiziell, um als Autohändler einzukaufen. Doch ein Vierteljahr später kam die Frau mit den drei ältesten Kindern des Paares aus dem Heimatdorf Kounine im umkämpften Südlibanon nach. Der Asylantrag der mittlerweile achtköpfigen Familie libanesischer Staatsangehörigkeit ist inzwischen abgelehnt; am vergangenen Freitag lief die Duldung aus. Abdul H. rechnete mit der Abschiebung, die seiner Familie immer wieder angedroht worden war. Dann kam unverhofft Rettung: Die jüngste Tochter, Rana, hatte noch keine Papiere. Das drei Monate alte Mädchen bewahrte die Familie kurzzeitig vor dem Abschiebeschicksal, gegen das der Vater bislang erfolglos angegangen war. Jetzt gruselt es Familie H. vor dem neuen Jahr.
Im März muß der Vater wieder zum Ausländeramt. Wenn die Abgeordneten des Petitionsausschusses der Bremer Bürgerschaft bis dahin keine Gnade walten lassen, gibt es keine Rettung. Die Eltern, und mit ihnen Uwe Helmke von der Asylgruppe Ostertor, sind verzweifelt. „Die Kinder werden im Libanon so gut wie keine Chance haben“, sagen sie. Der Vater schrieb: Ich bitte den Petitionsausschuß inständig und mit Angst um die Zukunft meiner Kinder, trotz der gesetzlichen Berechtigung einer Abschiebung, uns einen gesicherten Aufenthalt zu gewähren. Für Gnade setzt sich auch der Kinderschutzbund ein.
Der älteste Sohn der Familie, Yihad, ist jetzt 14. An das Dorf seiner Eltern, das er als fünfjähriger Steppke mit der Mutter verließ, erinnert er sich nicht mehr. Arabisch spricht er zwar, aber er kann es weder schreiben noch lesen. Seinen ersten Schultag erlebte Yihad in Bremen-Nord; im kommenden Jahr will er in Walle den Hauptschulabschluß schaffen. Daß alles Pauken umsonst gewesen sein soll, leuchtet ihm nicht ein. Von den Eltern wissen er und seine fünf jüngeren Geschwister: „Wenn wir abgeschoben werden, ist alles vorbei. Schulen im Libanon kosten Geld.“Das hat die Familie nicht. Sie wüßte nicht einmal, wohin sie sich im Libanon wenden sollte: Für die Rückkehr ins Heimatdorf in der israelisch besetzten Sicherheitszone bräuchte sie eine Sondererlaubnis. „Aber dann müßte Yihad in ein paar Jahren zum libanesischen Militär, das mit den Israelis zusammenarbeitet. Das wird gefährlich“, sagt ein Freund der Familie, der auch aus Kounine stammt. Dorthin zurückzukehren, hält er für Wahnsinn. „Das macht man nicht, wenn man Kinder hat.“
Die israelischen Angriffe auf Stellungen der iranisch orientierten Hisbollah-Miliz haben auch die Dörfer der Zivilbevölkerung zerstört. „Was da kaputtgegangen ist, baut niemand wieder auf. Ärzte, Schulen, Sozialversorgung – das gibt es da nicht.“Die Felder der Familie H., auf denen früher Tabak, Mais und Getreide angebaut wurden, liegen brach. „Wer da noch lebt, hat ständig Angst, auf eine Mine zu treten.“Auch Vater Abdul, der im Libanon früher Möbel lackierte, rechnet sich dort keine Zukunft mehr aus. Wohin er und seine Frau mit den heranwachsenden Kindern auch gingen, überall herrsche enorme Arbeitslosigkeit. Und auf Familienangehörige könnten die Rückkehrer kaum zählen: Die Eltern des Paares sind schon alt und selbst auf Hilfe angewiesen. Zwei Brüder von Herrn und Frau H. leben in Deutschland. Einer hat sogar Arbeit – und muß, weil er schon früher einreiste und im freizügigeren Niedersachsen landete, nicht die Abschiebung fürchten.
Für diese Chance würde Abdul H. alles tun. Um dem deutschen Staat nicht länger auf der Tasche zu liegen, hatte er sich zuletzt eine Arbeit bei einem Gartenbaubetrieb gesucht. Drei Monate lang warteten die Arbeitgeber – bis klar war, daß Abdul H. keine Arbeitserlaubnis bekommen würde, obwohl seine Frau mit einer Risikoschwangerschaft gar nicht hätte abgeschoben werden dürfen. Auch seine Versuche, aus der monatlich 2.400 Mark teuren Waller Wohnung in eine günstigere zu ziehen, schlugen fehl. „Jedesmal hat das Sozialamt nein gesagt“, berichtet Abdul H. Seit neun Jahren kämpft er in Deutschland für die sichere Zukunft seiner sechs Kinder. „Drei von ihnen sind hier geboren.“ ede
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