Crème meta

Ich habe den besten Bruder der Welt. In 27 Jahren haben wir uns nie viel gestritten. Bis auf jenen verhängnisvollen Heiligabend im vorigen Jahr. Ganz progressiv wollte die gesamte Familie „einmal anders“Weihnachten feiern, ohne Geschenke und ab von allem Trubel, in Niederbayern. Statt Gans sollte es Spaghetti mit Lachs geben, und die „Kinder“wollten kochen.

Draußen war alles tief verschneit, am Himmel stand schon der erste Stern. Richtig urig weihnachtlich war es! Hätte mein Bruder nicht plötzlich Tendenzen erkennen lassen, fundamentale Entscheidungen des Koch-Vorgangs selbstherrlich allein treffen zu wollen. Wild schüttete er Gewürze und Kräuter-Crème fraîche in beliebiger Menge in die Soße. „Nicht so viel Crème fraîche“, flüsterte ich ängstlich, aber nichts konnte ihn aufhalten. Als es mir schließlich gelang, zum Topf vorzudringen, war es schon zu spät. „Jetzt schmeckt es nur noch nach Fertig-Crème fraîche!“röchelte ich mit Tränen in den Augen. Woraufhin mich mein Bruder lautstark „verwöhnter Luxus-Allüren“beschuldigte (was kausal völlig unlogisch ist, denn ich hatte weniger Zutaten gefordert!). Türen knallten, ich blieb allein in der Küche, und die Weihnachtsstimmung war im Eimer.

Doch nicht umsonst haben mein Bruder und ich zusammen 16 Semester Pädagogik und Psychologie studiert. Zehn Minuten später waren wir bereits auf der Meta-Ebene: „Also, was ich damit eigentlich ausdrücken wollte, war...“– „Du, das hab' ich ganz anders wahrgenommen...“Es wurden noch richtig schöne Weihnachten. Aber in diesem Jahr gibt es wieder Gans. hedi