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Oft grüßt man sich nur mit leiser Stimme

■ Hundert Zeilen Kuhlbrodt: „Hier spricht die Böse! Es ist jetzt schon das 2. mal daß morgens um 3 Uhr bei Dir die Hölle los ist. Da läuft es mit Straßenschuhen hin und her.“

Wohnen ist komisch in der öffentlichen Kollektivimagination. Auf dem glänzenden Parkett fahren freche Kinder mit blonden Haaren Roller und rufen „ich drück dich“. Wohnlandschaften und schlanke Mütter sind frischgebügelt, das Bad ein kecker Traum in frechen Modefarben; im lecker Glänzenden sitzt Papa und fährt in's Büro.

Zum Frühstück gibt es Margarine mit schnell sich drehendem Joghurt. Im Radio läuft vermutlich Phil Collins. Phil Collins muß es sein. Das ist das Leben der Eigentumswohnungseinwohner: ab und an Ehehygiene mit grünen Kondomen, weil die auch gern „Verantwortung“ übernehmen wollen und jedes Jahr ins Rolling Stones Concert. Auch nächstes Jahr. Dank der Bild-Zeitung, in deren Kulturpreisjury auch Bärbel Bohley, die kultige Bürgerrechtlerin sitzt. (Empörend!) Gewöhnliche Berliner dagegen hausen in oft seltsam eingerichteten Mietswohnungen mit viel Teppich, Sofa, braun glänzendem Holz und einem Hirschgeweih zuweilen, wie mein Hausmeister zum Beispiel. Ein Kreuzberger Handwerker um die fünfzig, den ich neulich beim Allerlei-Werkzeugladen kennenlernte, lebt bei seiner Mutter und hat einen Hobbykeller, in dem er bestimmt komische Sachen macht. Leider gibt es die Zeitschrift Hobby schon lang nicht mehr. Fast 40 Jahre lang erfreute Das Magazin der Technik seine Leser, die sich inzwischen lieber Billigbusenmagazine wie Keck und Frech anschauen. Das ist so normal, wie die komisch verjugendzimmerten oder prima bohemesken Räume, in denen liebe StudentInnen ihr Berliner Leben zu beginnen pflegen. Im Winter denkt man manchmal, daß eigentlich überhaupt niemand ernst genommen werden kann, der nicht weiß, was ein Badeofen ist – Geht nicht! Da fehlt die Erfahrung. Da ist der Informationsstand in Sachen Mitmenschen gleich Null. Viele Eigentumswohnungsbesitzer wissen zum Beispiel nicht einmal, daß es Trambahnritzenreiniger gibt. (Straßenbahnritzenreiniger ziehen des Nachts romantisch funkensprühend durch die Straßen des Ostens. Ein schöner Beruf.)

Die Kommunikation in den Mietshäusern ist seltsam und meist gestört. Oft grüßt man sich mit zu leiser Stimme oder starrt verstört aneinander vorbei, manche werfen mit bösen Blicken um sich, manche melden sich auch schriftlich zu Wort. Per E-Mail, weil's schick ist und auch Spaß macht, oder ganz altertümlich. Zum Beispiel in Kreuzberg: „Bitte, Sie trampeln nach 22 Uhr noch. Möchten Sie ein paar Hausschuhe?“ oder auch wie gestern im Prenzlauer Berg: „Hier spricht die Böse! Es ist jetzt schon das 2. mal daß morgens um 3 Uhr bei Dir die Hölle los ist meine Schwägerin kahm angerannt machte mich wach und sagte da oben ist was passiert es rumst und ist so laut als wenn jemand krank ist und Helfer da ist. Da läuft es mit Straßenschuh hin und her. Das Radio ist so laut daß wir unten nur hörten es wären Indianer die da ihr Totentanz trommeln. So geht daß nicht Du kannst nicht morgens nach Haus kommen und Dich so verhalten als wärs Du in der Disco Du kennst doch die Hausruhe ab 22 Uhr hat Ruhe zu sein Radio auf Stubenlaut und nicht für die ganze Gegend. Du hast mal gesagt ich bin böse Du hast mich böse noch nicht erlebt. Laß es nicht darauf ankommen. – Gertrud“ Detlef Kuhlbrodt

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