: Weihnachtsflackerhysterie Von Carola Rönneburg
Früher stellten die Westberliner um die Weihnachtszeit herum eine Kerze ins Fenster, um den Brüdern und Schwestern im Osten ihre Verbundenheit sowie „Das Päckchen ist unterwegs!“ zu signalisieren. Wegen Feuergefahr wurden die Kerzen allmählich gegen elektrische Lichterketten ausgetauscht und in jedem Jahr um weitere beleuchtete Weihnachtsdekoration ergänzt. Zwar schimmert es auch anderswo, doch ich schwöre: Nirgendwo erstrahlen die Straßen heller als in Berlin, wobei sich der Ostteil der Stadt natürlich längst am Wettrüsten beteiligt.
Der Berliner liebt es bunt und – wir kommen zum Kern der Sache – seit letztem Jahr auch blinkend. Zur Grundausstattung eines durchschnittlichen Berliner Wohnzimmerfensters gehören:
– eine Lichterkette mit grünen, violetten und blauen Kerzen, gleichmäßig leuchtend,
– ein Weihnachtsstern, zirka 40 Zentimeter Durchmesser; im Sekundentakt von Rot nach Gelb nach Rot wechselnd,
– noch ein Weihnachtsstern, Grün/ Blau, Zehntelsekundentakt,
– auf dem Balkon mannshohe Weihnachtsmannlampen und rote Kerzenketten, aus denen eine dreidimensionale, wild blitzende Christbaumskulptur gebastelt wird.
Angesichts der massenhaften Verbreitung solcher Arrangements wollte ich auf meinem letzten Damenabend gern die Frage klären lassen, was es mit dem Geflacker auf sich hat. Ich sollte eine Antwort erhalten:
Auf Anregung von Frau Niehus ging es bei diesem Treffen nämlich nicht nur um anregende Konversation und haltlosen Alkoholkonsum; wir sollten uns auch „unbedingt bewichteln“, war von ihr gefordert worden. Nachdem ich herausgefunden hatte, daß mit dem herrlichen Verb „bewichteln“ (man muß das nur einmal durchspielen: ich bewichtele, du bewichtelst... sie werden bewichtelt worden sein) eine Julklapp-Tätigkeit gemeint ist und Frau Untertal wiederum mit Hilfe einer Internet-Recherche das ihr fremde Idiom in „Klappersack“ hatte übersetzen können, war dieser Vorschlag allerseits begrüßt worden.
Es wurde ein schöner Julklapp. Aufgeregt wühlten wir reihum im Klappersack und stürzten uns ungeduldig auf unsere Wichtelpäckchen: Lange Fingernägel zerschlitzten Weihnachtspapier, feste Schneidezähne kappten Ringelband, und ein ums andere Mal jauchzte eine Stimme „Oh, ein grünes Riesen-Gummibärchen“ oder „Ein Schumi-Puzzle!“ Selbst Fräulein Ukarapa, sonst nicht leicht zufriedenzustellen, strahlte und drückte eine Ausgabe der „Astro- Woche“ an ihr Herz. Auch ich war glücklich mit meinem Heiligen- Schlüsselanhänger und der Tube Regenerationscreme.
Und dann schloß Frau Metz ihre soeben ausgepackte Lichterkette an. Sofort begannen viele bunte Glühlämpchen in einem seltsamen Rythmus zu leuchten, aber das war noch nicht alles. Die Melodie von „Jingle Bells“ ertönte, ach was: erquäkte, und zwar so, als liefe eine mittels Waffeleisen verformte Schallplatte einer schottischen Schülerband. Recht bald wandten sich die Damen wieder ihren Tischgesprächen zu; einzig und allein der Freund von Frau Metz kam zu später Stunde noch in den Genuß der anderen elf Titel.
Ich konnte jetzt aber nicht mehr weiterschnattern. Eine schreckliche Ahnung stieg in mir hoch, ich öffnete das Fenster und deutete auf das gegenüberliegende Haus. „Da“, kreischte ich, „seht doch! Es ist grauenhaft!“ Die Runde starrte mich entsetzt an. „Da drüben!“ interpretierte ich die Blinkfrequenz eines Weihnachtsterns, „,Stille Nacht, Heilige Nacht‘ mit 120 bpm! Und nebenan“ – ich steigerte mich in einen Heulton hinein – „der Disco-Remix von ,Es ist ein Ros entsprungen!‘“
Dann floh ich, nur einen Gedanken im Kopf: Schnell fort von hier, raus aus Berlin, bevor die ersten Dekorateure kleine Lautsprecher nach außen verlegen! Und so verbringe ich jetzt, liebe Leserinnen und Leser, die Feiertage an einem unbeleuchteten Ort unter einer satten Schicht Regenerationscreme. Ich wünsche Ihnen und mir gutes Essen und viel, viel Schlaf.
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