■ Querspalte: Dem Übel ein Gesicht geben
Kaum haben die Neureichen Südostasiens mit all den Konsumgütern zu protzen gelernt, die im Westen als chic gelten, ist es schon wieder vorbei mit der Herrlichkeit. Mit der Krise ist der Luxus für viele unerschwinglich geworden, obwohl auf Kredit gekaufte Luxusartikel in diesen Tagen für einen Appel und ein Ei verschleudert werden. In Bangkok entstand ein Schnäppchenmarkt der besonderen Art: Verzweifelte Besitzer von Rolex-Uhren, Mercedes-Autos, Golfschlägern und modischen Designerwaren aller Art suchen händeringend nach Käufern, um nicht in ihren Schulden zu versinken. Sogar Flugzeuge soll man hier mehr oder weniger hinterhergeworfen bekommen.
Ein Autohändler entpuppte sich auf diesem Markt geplatzter Träume als innovationsfähig. Er erinnerte sich, daß die Krise nicht einfach vom globalisierten Himmel gefallen ist, sondern es realexistierende Verantwortliche gibt. So stellte er neben seine Secondhand-Luxuskarossen die Figuren ehemaliger Premierminister auf. Für umgerechnet 40 Pfennig für drei Wurf durften sie nach Herzenslust mit Tennisbällen beworfen werden. Zwar wollte keiner Autos kaufen, um aber den im November als Premierminister zurückgetretenen Ex- General Chavalith Yongchaiyudh zu bewerfen, haben die Neuarmen sogar eines ihrer letzten Hemden gegeben. Sein Konterfei traf es am meisten.
Von Asien lernen, heißt zwar nicht unbedingt Siegen lernen, wenngleich unsere Wirtschaftsführer das jahrelang behauptet haben. Aber zumindest der Import dieser emotional befriedigenden Form der Krisenbewältigung sollte erwogen werden. Auch in Deutschland gilt es, den Ärger direkt an den Mann oder die Frau zu bringen, dem Übel ein Gesicht zu geben. Nicht nur die protestierenden Studenten könnten so ihren Bildungs- und Kultusministern direkt ins Gesicht blicken. Auch die knapp fünf Millionen Arbeitslosen hätten endlich wieder ein Ziel. An Pappfiguren herrscht kein Mangel. Sven Hansen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen