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Kulturpalast im Hinterhof

Neues Musical-Theater auf St. Pauli: Eventagentur meldet „positiven Vorbescheid“, die Baubehörde weiß von nichts  ■ Von Ilonka Boltze

St. Pauli, so wollen es die, die dort leben, soll beruhigt werden. Sechs Jahre lang kämpften die AnwohnerInnen für einen Park im verkehrsgepeinigten Stadtteil. Jetzt droht das Terrain rund um die geplante Grünfläche am Pinnasberg zur Autorennstrecke zu verkommen: Nur wenige Meter entfernt plant der Hamburger Investor und Kiezmulti Claus Becker gemeinsam mit der Hamburger Event-agentur „Sundance Art & Entertainment“einen neuen touristischen Anziehungspunkt. Ein Musicaltheater mit 600 Plätzen soll in der Baulücke neben dem ehemaligen Erotic Art Museum in der Bernhard-Nocht-Straße entstehen. Werden die Träume von Sundance-Geschäftsführer Oliver Wirtz wahr, heißt es dann sechsmal die Woche „Showtime“im tourismusgebeutelten Stadtteil.

Die Interessengemeinschaft „Forum St. Pauli“läuft Sturm gegen die Pläne. „Seit drei Jahren diskutieren wir hier gemeinsam mit Behördenvertretern um Kindersicherheit und Verkehrsberuhigung, und es kommt kein Sterbenswort zu Bauvorhaben in solcher Größenordnung“, erregt sich Sabine Stövesand vom Stadtteilprojekt „Gemeinwesen Arbeit St. Pauli“(GWA). „Täglich knallen über 3000 Autos durch die Bernhard-Nocht-Straße. Wenn jetzt ein solcher Vergnügungspark hochgezogen wird, gibt es nachts noch mehr Parkplatzsuchverkehr.“

Bereits im November waren Gerüchte über das Großprojekt laut geworden. Damals beruhigte die Baubehörde die Anwohner: Das Grundstück sei für reine Wohngebäude vorgesehen, ein Bauantrag von Becker liege überhaupt nicht vor. Die Behördenvertreter vermuteten eine Verwechslung. Denn direkt neben der Baulücke steht das ehemalige Erotic Art Museum, das Besitzer Claus Becker zu einem Raum für Sonderausstellungen umgewidmet hat. Und dort veranstaltet die Agentur „Sundance Art & Entertainment“seit November bereits regelmäßig Theaterbankette.

Geschäftsführer Oliver Wirtz bestätigte der taz hamburg jedoch, daß er in der Tat auf die Baulücke ein Auge geworfen habe. Es gebe auch schon einen „positiven Vorbescheid“von Kultur- und Baubehörde für den Kulturpalast, der bereits in der Entwurfsphase stecke. Wirtz beschwichtigte jedoch, man wolle „den umliegenden Stadtteil integrieren“: Die anliegenden Restaurants sollen in das Konzept miteinbezogen werden.

Die Genossenschaft „Alternativen am Elbufer“will nicht warten, bis die Planungen für den „Vergnügungsbetrieb im Hinterhof eines Wohngebiets“konkreter werden. „Das Becker-Theater wird nicht gebaut“, fordert sie in einem offenen Brief an den Bezirk Mitte. Zumal Wirtz angekündigt habe, daß in den Wohnungen rund um das Musical-Gebäude Künstler-Unterkünfte entstehen könnten. Da diese zum größten Teil ebenfalls Becker gehören, fürchten die AltmieterInnen, von dort verdrängt zu werden.

Claus Becker wollte sich gegenüber der taz nicht äußern. Und auch das Baudezernat Mitte mochte Wirtz' „positive Sondierungsgespräche“nicht kommentieren.

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