piwik no script img

Mit Schere und Kleber

■ Wir basteln uns eine Geschichte: „Stalins Retuschen“von David King

efälschte Fotos gibt es nicht erst, seit Gaby Dohm oben ohne auf einem Titanic-Titelbild erschien oder zusammenmontierte Nacktbilder der Spice Girls ins Internet geschleust werden. Die Manipulation von Bildmaterial ist eine alte Sache, die vor allem für politische Propagandazwecke und Geschichtsumschreibungen schon immer eine Rolle spielte.

Vor allem unter Josef Stalin wurde Geschichte mit verfälschten Fotos geschrieben und somit selbst der Sowjetideologie entsprechend retuschiert. Marx erhielt zum Beispiel auf einer offiziell veröffentlichten Postkarte einen längeren Bart, um weiser und erhabener zu erscheinen. Von einem Foto, auf dem Lenin zu sehen ist, der eine Rede hält, wurde das Publikum wegretuschiert und durch eine größere Massenszene ersetzt.

Während der sogenannten Säuberungen ließ Stalin nicht nur zahlreiche seiner politischen Gegner oder bei ihm gerade in Ungnade Gefallenen töten, sondern versuchte auch, jedes Andenken an sie zu vernichten, indem er sie aus allen von ihnen veröffentlichten Fotos hinausschneiden oder ihre Gesichter unkenntlich machen ließ. Die Resultate dieser Montagen waren teilweise recht absurd, da plötzlich in irgendwelchen Bildbänden schwarz übertünchte Gesichter erschienen.

Manche Retuschen waren so schlampig, daß einzelne Körperteile oder die Schatten der jeweiligen Personen noch auf den veränderten Fotos zu sehen waren.

Stalins Retuschen von David King dokumentiert diese Phase der Sowjetunion (1929-1953), in der Zensur und Manipulation von Information an der politischen Tagesordnung waren. Zum einen stellt es verschiedene Versionen einzelner Bilder gegenüber, also das Original und die jeweiligen Verfremdungen, zum anderen zeigt es aber auch einige Werke des sozialistischen Realismus, denen Stalin- und Lenin-Fotos als Vorlage dienten.

Bekanntestes Beispiel für die Manipulation eines Fotos dürfte ein Bild Lenins von 1920 sein, auf dem dieser, auf einem Holzpodest stehend, zu an die Front ziehenden Soldaten spricht. Unten auf den Stufen des Podestes steht Trotzki. Nachdem Trotzki aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war, mußte er aus diesem Bild, das als ein Symbol des revolutionären Rußlands galt, verschwinden. Und auf allen späteren Versionen wurde der Verbannte durch angemalte Holzstufen ersetzt.

Obwohl der Textanteil bei David Kings Buch verhältnismäßig dünn daherkommt und ein zusätzlicher Essay dem Ganzen gutgetan hätte, vermag Stalins Retuschen ein Stück Sowjetgeschichte sehr gut zu vermitteln. Streckenweise liest oder vielmehr sieht es sich an wie ein Bilder-Essay zur Geschichte der Zensur und leistet so einen interessanten Beitrag zur Aufarbeitung eines umstrittenen Themas.

Jens Kiefer

David King: „Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion“. Übersetzt von Cornelia Langendorf, 1997, Hamburger Edition, 192 Seiten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen