: Die Privatisierung des Gesundheitswesens beginnt in der Zahnmedizin. Ab dem kommenden Jahr zahlen die Krankenkassen nur noch einen Festzuschuß zu Zahnersatzleistungen. Die Kosten für den Patienten bestimmen Dentisten und Zahntechniker. Von Annette Rogalla
Nicht der Kunde, der Zahnarzt ist König
Wer künftig Kronen, Brücken oder Stiftzähne braucht, muß tiefer in die Tasche greifen. Denn im neuen Jahr beteiligen sich die Kassen nicht mehr prozentual an Kosten für Zahnersatz, sondern zahlen dem Versicherten nur noch einen festen Zuschuß zur Zahnarztrechnung. Dieser bemißt sich allerdings nach einem bescheidenen Standard. Wer auf die gewohnte Qualität des Zahnersatzes nicht verzichten will, muß mehr bezahlen als bisher (siehe Kasten).
Was den Patienten schmerzt, freut die Dentisten. Sie dürfen ab dem 3. Januar Kronen, Brücken und Zahnprothesen ähnlich der Regelung für Privatpatienten auch mit Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) direkt abrechnen. Das gab es bislang nicht: Zahnarzt und gesetzlich Versicherter schließen einen privaten Behandlungsvertrag miteinander ab, bei dem die Kassen nichts mehr zu sagen haben.
Die neue Regelung stößt bei den Ersatzkassen daher auf erheblichen Widerspruch. Jörg Bodanowitz, Pressesprecher der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, befürchtet, daß Zahnärzte ihre Kostenpläne nur ungenau abfassen werden und dem Patienten Material- und Laborkosten in Rechnung stellen, die weit über den Festzuschüssen liegen. „Der Patient, der den Behandlungsvertrag unterschrieben hat, muß auf alle Fälle zahlen“, so Bodanowitz. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, rät die DAK, die Kostenpläne vor der Unterschrift der Kasse „zur Beratung“ vorzulegen. Zeigt sich, daß der Kostenvoranschlag zu hoch ausfällt, sollte der Patient mit dem Zahnarzt nachverhandeln oder einen zweiten aufsuchen.
Vermutet wird, daß vor allem die Zahntechniker die Kosten für Zahnersatz in die Höhe treiben werden. Heute entfallen zirka 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz auf Laborleistungen, vor zehn Jahren waren es noch 50 Prozent. Weitere Preiserhöhungen um „durchschnittlich zehn Prozent“ hat der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Zahntechniker-Innungen, Helmar Klutke, denn auch schon angekündigt.
Die Zahnärzte sehen der neuen Festzuschußregelung optimistisch entgegen. „Die Festzuschüsse sind fairer“, meint Karl-Heinz Löchter, Präsident der Berliner Zahnärztekammer. „Die Preise werden offengelegt, und der Patient kann entscheiden, was er will.“ Dank des einheitlichen europäischen Marktes könnten Zahnärzte ja auch die preiswerteren Laborleistungen aus den Niederlanden, aus Spanien oder Irland in Anspruch nehmen.
Doch viele Dentisten sind weit davon entfernt, diesen Rat zu befolgen. Kürzlich zeigte ein in Belgien ansässiger „Verein gegen die Ausbeutung von Zahnersatzpatienten“ alle Trierer Zahnärzte bei der Staatsanwaltschaft an, weil diese sich weigern, den Patienten ausländischen Zahnersatz anzubieten. Während in Deutschland eine Brücke etwa 1.200 Mark koste, könne das gleiche Stück aus spanischer Fertigung bereits für 480 Mark angeboten werden. Den Vorwurf, mit deutschen Dentallabors ein Kartell zu bilden, weist Reiner Lehmann von der Trierer Bezirksärztekammer brüsk zurück. Wenn die deutschen Zahnärzte nicht auf ausländische Angebote eingingen, könne er dies verstehen, schließlich hafte der Zahnarzt für Mängel am Produkt. Bei in Deutschland gefertigten Kronen hingegen wisse der Dentist, „was er bekommt“.
Nicht nur das. Ein großer Teil der deutschen Zahnärzte ist zumindest als Gesellschafter an einem Dentallabor beteiligt. Von der gescholtenen deutschen „Hochpreispolitik“ leben also beide Seiten gut.
Daß trotz geringerer Beteiligung der gesetzlichen Krankenkassen auch in Zukunft die Patienten den Zahnarzt nicht meiden, dafür sorgen Unternehmensberater. Beliebt sind derzeit Aufbauveranstaltungen zur „Patientenüberzeugung“. Deren Credo lautet: Der Zahnarzt muß „verkaufen“. Allerdings nicht die Leistungen, die noch von den Krankenkassen bezuschußt werden. Es soll ruhig die keramikverblendete Krone sein oder das Goldinlay, beides Posten außerhalb des Regelkatalogs.
Hilfe für Verkaufsgespräche liefert auch das Dentistenblatt DZW. Der Patient müsse „sytematisch über das Kompetenzangebot“ der Praxis informiert werden. Täglich „mindestens zehn Informationssignale gegenüber Patienten“ soll der Dentist aussenden, in der Folge „entstehen automatisch zwischen zwei und drei positiver Nachfrageentscheidungen“.
Der Trend in der Zahnmedizin ist wegweisend für die gesamte Gesundheitspolitik. In Zukunft sollen immer mehr Leistungen privat abgerechnet werden. Der „Feldversuch läuft in der Zahnmedizin“, bestätigt Karl-Heinz Löchter, Präsident der Berliner Zahnärztekammer. Die Festzuschüsse sind nur ein erster Schritt zur Privatisierung des gesamten Gesundheitswesens.
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