: Ballermänner made in Italy
■ Geld statt Moral oder Die Erfindung des Italo-Western: Sergio Leone und Sergio Corbucci lassen skrupellose Individualisten im Metropolis-Kino reiten
Die Erfolgsgeschichte des Italo-Western begann 1964 mit Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar. In der Überzeugung, das Publikum schätze nur US-Western, firmierten Leone und der kongeniale Komponist Ennio Morricone für diesen Film noch unter amerikanisch klingenden Pseudonymen. Doch im Grunde war der US-Western schon tot, die moralinsaure Mischung aus „crime doesn't pay“und Bilderbuchlandschaften lockte kaum jemanden mehr hinter dem Ofen hervor und vor allem nicht mehr in die großen Kinosäle. Da kam die italienische Wiedererfindung des Western gerade recht.
Sergio Leone (Spiel mir das Lied vom Tod; The Good, the Bad and the Ugly) und Sergio Corbucci (Django, Leichen pflastern seinen Weg, Mercenario – Der Gefürchtete) zertrümmerten die idealisierten Bilderwelten des US-Western und setzten die Scherben völlig neuartig zusammen. In nur einem halben Jahrzehnt, von Mitte bis Ende der 60er Jahre, entstanden rund 300 sogenannte Spaghetti-Western. Angesiedelt sind diese Filme im trostlosen Niemandsland. Es gibt weder funktionierende Sozialstruktur noch gelten die Gesetze der Zivilisation. Die Helden, wenn man sie denn so nennen will, scheren sich nicht um Moral – es geht ihnen einfach nur ums Geld. Dafür ziehen sie auch gerne Särge durch Sümpfe.
Zwei Filme markieren 1968 den Höhepunkt des Italo-Western. Leones Spiel mir das Lied vom Tod verabschiedet sich von den geradlinigen und durchaus augenzwinkernden Filmen der Dollar-Trilogie und ist dem Epos wie der Oper verpflichtet. Die Musik Morricones bestimmt den Rhythmus des Films, der durch die endlose Dehnung einzelner Sequenzen fast rauschhafte Wirkung erlangt. Der Traum vom Westen, von Helden und Pionieren bekommt hier sein letztes Geleit, überrollt von der Macht des Kapitals und des technischen Fortschritts – in Form der Eisenbahn.
Corbuccis Leichen pflastern seinen Weg, begleitet von Morricones elegischem Sound-track, führt das Genre mit viel schwarzem Humor an und über die Grenze des Absurden hinaus.
Der Italo-Western war ein kassenträchtiges Genre. Zehn Prozent des Kinopublikums sahen seinerzeit Western made in Italy. Immer mittendrin im Massenpublikum: die Intellektuellen. Nicht wenige davon schrieben zwar fleißig gegen die Brutalitäten in den Filmen an – einige ließen sich dabei sogar zu KZ-Vergleichen hinreißen –, den Erfolg der Filme verhinderten sie damit freilich nicht.
Der radikale Individualismus und die resignative bis amüsierte Skrupellosigkeit in den Filmen entsprachen kaum revolutionärer Programmatik, auch wenn Corbucci Leichen pflastern seinen Weg den Polit-Ikonen Martin Luther King, Che Guevara und Bob Kennedy widmete. Wenn schon nicht Speerspitze, so gab der Italo-Western jedoch der gesellschaftlichen Verunsicherung, dem Lebensgefühl in den späten 60er Jahren, prägnanten Ausdruck.
Tim Gallwitz
Heute, 19 Uhr: „Für eine Handvoll Dollar“(auch Sa 21.15); 21.15 Uhr „Django“(auch Mo 21.15). Alle weiteren Termine bitte dem Metropolisprogramm entnehmen.
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