„Was soll denn vertuscht werden?“

■ Nicole Schröder und Christoph Kretschmann starben, weil ein Abluftrohr der Gastherme verstopft war. Für ihre Eltern ist es furchtbar, daß die Verantwortlichen immer noch nicht ermittelt sind

Zwei Jahre nach dem Tod ihres Sohnes versagt Monika Kretschmann noch immer die Stimme, wenn sie von ihm erzählt. Es war Weihnachten 1995, eine Woche vor seinem Tod, als sie ihn zum letztenmal sah. Er hatte sie, zusammen mit seiner Freundin Nicole Schröder, in Baden-Baden besucht. „Sie waren so verliebt, so glücklich“, erinnert sich Monika Kretschmann. Ihr Sohn hatte kurz zuvor die Zusage für ein Bildhauerstudium an der Kunsthochschule in Weißensee erhalten und freute sich sehr darauf. Seine Freundin war noch auf der Suche nach einem Studienplatz. „Sie haben angefangen sich ein Nest zu bauen“, erzählt die Mutter. Die Wohnung in der Gethsemanestraße 3 habe 1993, als ihr Sohn sie als Untermieter übernommen hatte, „verheerend“ ausgesehen.

Monika Kretschmann hofft, daß mit der Wiederaufnahme des Verfahrens „die offenen Fragen geklärt werden“. Mit Kritik an den langsamen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zwischen Januar 1996 und August 1997 hält sie sich zurück. Sie ist froh, daß jetzt erneut ermittelt wird. Ebenso der Vater von Nicole, Winfried Schröder. Dennoch findet er, daß es „nach allgemeinen Lebenserfahrungen auszuschließen“ sei, daß mehrere Schreiben auf dem Postweg verlorengegangen sein sollen. „Jede Ansichtskarte aus Mallorca kommt doch an“, sagt er. Es gebe „viele dunkle Punkte“, die man „nur hinterfragen müsse“. „Was soll denn vertuscht werden?“ fragt er.

Der 58Jährige versucht dem Spagat zwischen Emotionen und Vernunft standzuhalten. Begibt er sich auf die gefühlsmäßige Ebene, sagt er: „Der Unfall wurde vertuscht.“ Auf der faktischen Ebene kommt er zu dem Schluß: „Es war doch kein Fehlverhalten der Kinder. Sie sind an einem baulichen Mangel gestorben.“ Winfried Schröder räumt ein, daß dieser Spagat schwer ist. Trotzdem spricht er aus, was so schwer zu akzeptieren ist: „Die Kinder sind tot.“ Doch „die Hinterbliebenen erwarten nach so einem langen Zeitraum nunmehr Klarheit.“

Seine Trauer schlägt immer öfter in Sprachlosigkeit um. Winfried Schröder will endlich ein Ende des „grausamen“ Zustandes, in dem er seit dem Tod seiner Tochter lebt. „Ich hatte früher immer einen Bezug zu klassischer Musik“, erzählt er. Jetzt höre er Discomusik. Als der „Städtische Musikverein zu Düsseldorf“, in dem er singt, kürzlich einen Auftritt in Berlin hatte, ist er zu Hause in Essen geblieben. „Normalerweise hätte ich doch meine Tochter in Berlin angerufen“, sagt er. Winfried Schröder will, daß endlich der oder die Verantwortlichen gefunden werden. „Es geht nicht um Schuldzuweisung“, betont er, „es geht um die Verantwortlichkeit.“

Die weist Hausbesitzer Kuno Naehrig weit von sich. Er spricht lediglich von einem „tragischen Unfall“. Zu der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens wollte er sich nicht äußern.

Gegenüber einem Mieter des Hauses Gethsemanestraße 3 hatte Naehrig den Einbau von Heizungen im Herbst 1996 – unter anderem in der Wohnung im Seitenflügel, wo Nicole Schröder und Christoph Kretschmann starben – so begründet: „Da ist mal was Schlimmes passiert. Ich will das jetzt unter Kontrolle haben.“

Auch die Berichterstattung über die Verantwortlichen am Tod von Nicole Schröder und Christoph Kretschmann will der Hausbesitzer am liebsten unter Kontrolle haben. Als der Spiegel vor einem Dreivierteljahr über Prenzlauer Berg als „das größte Sanierungsgebiet Europas“, das „Eldorado für dubiose Bauherren, unseriöse Erben und gerissene Spekulanten“ berichtete und dabei das erste Ermittlungsverfahren gegen Naehrig erwähnte und ein Foto von ihm veröffentlichte, schaltete dieser sofort seine Anwälte ein. In erster Instanz vor dem Landgericht hatten sie mit ihren Unterlassungsansprüchen für das Foto von Naehrig Erfolg. Jetzt muß der Spiegel nachweisen, daß das Foto in dem Moment des Gespräches mit Naehrig aufgenommen wurde, in dem es um die beiden Toten und nicht um Sanierung im allgemeinen ging.

Die Berufungsverhandlung soll demnächst stattfinden. Das Ansinnen von Naehrigs Anwälten, den Spiegel dazu zu bringen, über die Einstellung des Verfahrens im vergangenen Sommer zu berichten, erscheint mit der Wiederaufnahme der Ermittlungen allerdings verfrüht.

Die Renovierungsarbeiten in der Gethsemanestraße 3 indes gehen langsam vonstatten. „Dem Naehrig helfen der Hauswart und noch drei weitere Hilfskräfte“, erzählt ein Mieter, „deshalb geht das so schleppend.“ Bei seinem Einzug habe ihm Naehrig versprochen, daß die Sanierung bis spätestens Ende 1997 fertig sei. Bisher sei noch nicht mal das Dach repariert. Barbara Bollwahn