: "BRD der Kindstötung schuldig"
■ Der bayerische Kardinal Wetter schlägt im Abtreibungsstreit Töne an wie im Kirchenkampf. Seine Silvesterpredigt verschärft die Linie der katholischen Kirche und greift Frauen an
München (dpa/taz) – Die Bundesrepublik Deutschland macht sich nach Ansicht des Erzbischofs von München und Freising der „Beihilfe bei der Tötung von Kindern“ schuldig. Damit hat erstmals ein führender Vertreter der katholischen Kirche in den neuen Streit um das Abtreibungsrecht eingegriffen. Der Staat leiste Beihilfe zur Kindstötung, indem er Krankenhäuser und Ärzte für Abtreibungen bereitstelle und für die Bezahlung sorge, sagte der Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, in seiner Silvesterpredigt. Über mögliche strafrechtliche Schritte der katholischen Kirche gegen die Bundesrepublik machte Wetter keine Angaben.
Der Streit um das Abtreibungsrecht war durch einen Vorstoß von Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) aufgeflammt. Nach ihrer Meinung könnte die 1994 eingeführte gesamtdeutsche Regelung wegen eines zu geringen Rückgangs von Schwangerschaftsabbrüchen erneut vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Derzeit gilt eine Zwölfwochenfrist mit Beratungspflicht.
Kardinal Wetter nannte es nach Angaben der Kirche „bedenklich, ja bedrückend“, wie wenig Menschen in Deutschland gegen die Tötung ungeborener Kinder protestierten. Mit Recht sei das ganze Land über den Sexualmord an der kleinen Natalie Astner aus dem oberbayerischen Epfach entsetzt gewesen. Man müsse aber fragen, wo das Entsetzen bleibe angesichts der Tatsache, daß „Jahr um Jahr Tausende und Abertausende kleine Natalies bereits im Schoß der Mutter getötet werden“.
Die Zahl der statistisch erfaßten Abtreibungen war 1996 um mehr als 33 Prozent auf 130.899 gestiegen (1995: 97.937). Auch im ersten Halbjahr 1997 gab es mit 68.170 Abtreibungen mehr Eingriffe als in der gleichen Zeit des Vorjahres (65.883). Der Anstieg wird aber von Fachleuten im wesentlichen darauf zurückgeführt, daß die abtreibenden Ärzte die Meldepflicht jetzt genauer einhalten. Kommentar Seite 12
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