: Männer, die ihr Versprechen halten
Als Antwort auf den Feminismus formiert sich in den USA und auch in Deutschland die christliche Männerbewegung der Promise Keepers. Sex ohne Ehe und Abtreibung sind Sünden ■ Von Susanne Burg
Ein Wohnzimmer in Müncheberg in der Märkischen Schweiz. Gerd Kraetke, Lokomotivführer und Vater von drei Kindern, sitzt auf dem Sofa. Nach und nach treffen zehn Männer im Alter von 20 bis 53 Jahren aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein, umarmen sich und setzen sich um den Adventstisch. „Die meisten Männer haben Berührungsängste“, erklärt Gerd Kraetke gerade. „Überhaupt ist es schwer für Männer, tiefere freundschaftliche Beziehungen zu anderen Männern aufzubauen.“ Dafür soll in der Männergruppe der Promise Keepers Abhilfe geschaffen werden.
Wer sind die Promise Keepers? Hunderttausende von Männern fassen sich an den Händen, bitten um Vergebung für ihre Sünden und stimmen eine christliche Pophymne an. Männer weinen, knien nieder, versprechen, Gott zu folgen und demnächst ihren Frauen beim Abwaschen und Windeln zu helfen. Auf 18 Videoleinwänden ist ein Mann zu sehen, der reuevoll berichtet, seiner Frau eine Abtreibung erlaubt zu haben. Solche Szenen waren Anfang Oktober vor dem Kapitol der US- amerikanischen Hauptstadt zu sehen, wo sich die evangelikale Männerbewegung der Promise Keepers zu einer zahlenmäßig rekordverdächtigen Großveranstaltung traf. Grundsätzlich nicht möglich in Deutschland? Falsch. Eine sechsstellige Teilnehmerzahl kam in Siegen zwei Wochen später zwar nicht zustande, aber die Rituale ähnelten denen in Washington. „Überwältigend“ nennt Heinrich Christian Rust, Leiter der Promise Keepers in Deutschland, die Stimmung in der Siegerlandhalle, in die 2.000 Männer zur ersten deutschen Konferenz der Promise Keepers gepilgert kamen. „Es war viel Gefühl dabei. Viele Männer haben geweint. Über die Hälfte trat nach vorne, um ihre Sünden zu bekennen.“
Lokführer Kraetke erzählt an seinem Adventstisch, wie sehr ihm Siegen gezeigt hat, daß die Promise Keepers wichtig für Deutschland sind. Hans-Christian Köhnke (s. Porträt unten) und er haben sich das Versprechen gegeben, eine lebendige Beziehung zueinander zu unterhalten. Das Anliegen wurde schriftlich fixiert und unterschrieben. Seitdem telefonieren sie regelmäßig. Mit der ganzen Gruppe treffen sie sich alle zwei Wochen. Sie beten zusammen und geloben, Gott und die Kirche zu ehren, in „geistlicher, moralischer und sexueller Lauterkeit und Reinheit“ zu leben und sich Ehe und Famile hinzugeben. Außerehelicher Sex, Abtreibung und Homosexualität sind Sünden.
Was in Deutschland bisher in vergleichsweise kleinem Maßstab abläuft, hat im Mutterland USA weitaus gewaltigere Dimensionen angenommen. Bis zu 50.000 Männer treffen sich dort zu Großveranstaltungen; in den sieben Jahren ihres Bestehens kam die Organisation auf rund drei Millionen Teilnehmer. Historiker sprechen von der am schnellsten wachsenden religiösen Bewegung in Amerika. Die gewinnbringende Formel: reine Männerversammlungen in Sportstadien, ausgelassene Fußballatmosphäre, leicht verdauliche Lebensregelhäppchen, Pophymnen und spirituelle Katharsis. Dazu eine effiziente Mobilisierung. Von Massenveranstaltungen sollen Männer nach dem „Trichtermodell“ in kleine stabile Gruppen kanalisiert werden. Bill McCartney, Ex-Footballcoach an der University of Colorado und Gründer der Promise Keepers, hat die Organisation zu einem erfolgreichen Unternehmen mit dem steuerlich günstigen Status eines eingetragenen Vereins gemacht. Er blickt mittlerweile auf einen Stab von 450 Mitarbeitern und einen Jahresetat von ungefähr 100 Millionen Dollar herab, der durch 60 Dollar teure Eintrittskarten und den Verkauf von T- Shirts, Videos und Büchern zusammenkommt.
Kritikern sträuben sich die Haare bei der Rhetorik der Promise Keepers, die sich in Grauzonen der Begrifflichkeiten winden und erklären, daß es um die Verantwortung des Mannes als Führer des Hauses gehe, nicht um die Unterdrückung der Frau. „Warum sprechen sie nicht von Gleichheit?“ fragen Equal Partners in Faith, eine Koalition aus über sechzig führenden religiösen Köpfen, die sich aus Protest gegen die Promise Keepers zusammengeschlossen hat. Die Christen-Männer wiederum antworten, die Frauen hätten lange Zeit die Verantwortung getragen, in der Kirche, in der Familie, jetzt müßten die Männer ran.
„Die Promise Keepers haben ihre frauenfeindliche, homophobe und rassistische Rhetorik inzwischen etwas abgemildert“, sagt Conny Hannah von der National Organization for Women (NOW). „Einige Führer verkündeten früher auf Veranstaltungen Sachen wie: ,Sklaverei war Gottes Plan, schließlich müssen wir alle jemandem dienen.‘ Jetzt reden sie von Versöhnung zwischen den Rassen, aber sie meinen nach wie vor nur biblische Versöhnung, die keinerlei soziale, ökonomische und politische Gerechtigkeit bringt. An den Machtverhältnissen wollen sie nichts ändern.“
Feministinnen fühlen sich von den Promise Keepers massiv angegriffen und für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht. Jerry Falwells, der Gründer der ultrakonservativen christlichen Organisation der Moral Majority, fand auf einer Veranstaltung der Promise Keepers deutliche Worte: „Es scheint, als ob Amerikas antibiblische feministische Bewegung endlich stirbt, Gott sei Dank, und sie wird hoffentlich durch eine christliche Männerbewegung ersetzt.“
Die Promise Keepers weisen jedoch den Vorwurf politischer Ambitionen vehement zurück und unterstreichen immer wieder, daß sie sich lediglich für Gott und rein religiöse Anliegen einsetzen. Wenn sie politische Ziele verfolgten, so wären sie in den letzten Jahren sehr ineffektiv gewesen, da sie nichts vorzuweisen hätten, erklärte Promise-Keepers-Sprecher Mark DeMoss. Ihnen gehe es sehr wohl darum, langfristig politisch Einfluß zu nehmen und die Rechte von Minderheiten, von Frauen und sozial Schwachen zu beschneiden, antworten Kritiker, zum Beispiel das Center for Democracy Studies in New York City, und weisen auf die breite Verknüpfung rechter Gruppierungen hin. Ihre Strategie der symbolischen Gesten legitimiere letztendlich das Kürzen von wohlfahrtsstaatlichen Programmen. Denn wenn sich Schwarze und Weiße so gut verstehen – schließlich war einer von zehn Männern bei der Versammlung in Washington schwarz – wozu sind dann Programme wie Affirmative Action noch nötig?
Nicht nur in den USA zieht die evangelikale Bewegung zunehmend mehr Männer an. Neben Australien, Neuseeland und Kanada haben die Promise Keepers seit drei Monaten in Großbritannien und Deutschland offizielle Büros. Weitere 60 Länder arbeiten daran, die Zugangsvoraussetzungen der amerikanischen Zentrale zu erfüllen. Auch die deutschen Promise Keepers versichern, daß es ihnen nicht um Politik, sondern um die Versöhnung der christlichen Religionen sowie die Öffnung der Kirchen gehe. Ein großer Impuls geht dabei von den freikirchlichen Gemeinden und missionarischen Organisationen aus. Man sieht sich als Bewegung, die in einem „fruchtbaren Miteinander“ mit den großen Landeskirchen stehe, so Heinrich Christian Rust, deutscher Leiter der Promise Keepers und Referent für missionarischen Gemeindeaufbau im Bund der evangelischen freikirchlichen Gemeinden.
Inhaltlich, strukturell und organisatorisch bleibt der Blick dabei auf die USA gerichtet. Auch in Deutschland soll effektiv auf lokaler und nationaler Ebene gearbeitet werden. Die erste Schulung für „Key Men“, die in ihrem Umkreis Männer für die Kleingruppen rekrutieren, fand im Juni 1997 statt. Für 1998 sind vier weitere Lehrgänge geplant. Schon dieses Jahr, so hofft man, werden „Botschafter“ eingesetzt, die als Repräsentanten der Promise Keepers neue Gemeinden und in ihnen neue Key Men anwerben. Gleichermaßen soll das Format der Großveranstaltungen übernommen werden. Für Oktober 1998 ist eine Veranstaltung in der Frankfurter Ballsporthalle geplant. Ob aber Massenkundgebungen der richtige Stil für Deutschland sind, weiß Rust nicht. Das soll in den nächsten Jahren ausprobiert werden: „Der Stil wird so deutsch werden, wie die Deutschen deutsch sind.“s
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