Denken erlaubt: Ideen für eine andere Politik

■ Einladung zur politischen Debatte: Unter diesem Logo präsentiert die taz in den kommenden Monaten Angebote für politischen Streit

iebe Leserin, geneigter Leser, auch wir, die Unterzeichnenden, wünschen Ihnen ein gutes und erfreuliches Neues Jahr! Und wir möchten nach Kräften dazu beitragen, daß das kommende Jahr gut wird.

Deshalb präsentieren wir Ihnen heute eine Initiative, über deren Erfolg oder Mißerfolg Sie – und nur Sie – entscheiden werden: Im kommenden halben Jahr werden in der taz alle zwei bis drei Wochen von Expertinnen und Experten fachpolitische Konzepte vorgestellt werden. Wir fordern Sie auf, sich mit diesen Konzepten öffentlich auseinanderzusetzen. Und wir danken der taz für die Bereitschaft, uns dafür regelmäßig eine Seite der Samstags-Ausgabe zu überlassen.

Der Hintergrund

Derzeit findet eine Debatte über Inhalte von Politik öffentlich nicht statt. Die Menschen – oder doch viele von ihnen – beklagen vielmehr in privaten Zirkeln den zunehmenden Dilettantismus in der Politik. Sie stellen fest, ebenfalls privat und ganz zu Recht, daß ethische Grundsätze aus der Politik entschwunden sind. Sie konstatieren einen Paradigmenwechsel in der Politik, der die Grundlagen von Demokratie zu zerstören droht. Ansonsten redet alle Welt – statt über Inhalte – über Geld respektive über das Fehlen desselben.

Diese Haltung trägt nach unserer Meinung dazu bei, daß Politik – in Bremen und anderswo – parteiübergreifend und keineswegs heimlich ihr Konzept für den Umbau der Gesellschaft nahezu unangefochten durchsetzen kann. Entscheidende Elemente dieses Umbaus sind, wie nicht nur in dieser Zeitung immer wieder beschrieben, Ausgrenzung und Polarisierung. Beides wächst in einem Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit, die vor dem Hintergrund der bisherigen, vom Streben nach sozialem Konsens geprägten Geschichte der Bundesrepublik schon erstaunlich sind. Im Ergebnis entsteht eine Gesellschaft, in der die Menschen mit in den letzten Jahren unbekannter Selbstverständlichkeit eingeteilt werden in Gewinner und Verlierer – und die Gruppen der Verlierer vergrößern sich stetig.

Was wir wollen

Wollen wir eine Gesellschaft, in der die Lebenschancen nach dem Monopoly-Prinzip umverteilt werden? Wir wollen sie nicht. Zunehmend wird uns entgegengehalten, diese Art des Umbaus sei – aus diesen oder jenen Gründen – nötig oder doch zumindest unvermeidlich. Wir teilen diese Meinung nicht, weder für Bremen noch für die gesamte Bundesrepublik. Wir sind davon überzeugt, daß es andere – angemessenere, menschenwürdigere – Möglichkeiten gibt, mit der großen Krise der gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Strukturen umzugehen.

Privat zu klagen und öffentlich den Mund zu halten, führt aber nicht zur Realisierung solcher Möglichkeiten. Solange wir keine anderen Ideen zur Debatte stellen, solange wir nicht öffentlich sagen „So könnte man Politik auch machen“, solange bleiben wir unglaubwürdig. Und es wird uns mit Recht vorgehalten, nicht einmal theoretisch Alternativen zur herrschenden Misere angeben zu können.

Deshalb brauchen wir diskussionsfähige Konzepte – für alle Gebiete der Fachpolitik. Konzepte müssen nicht ein für allemal fertig sein, und sie können – vor allem in Krisensituationen – nicht mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit ausgestattet sein. Aber Konzepte bilden einen Bezugspunkt für Urteile über das, was geschieht. Sie bieten einen Maßstab, an dem sich Spiegelstrich-Programme aller Art und Herkunft messen lassen. Und sie sind unsere einzige Grundlage für Widerstand gegen Einvernahme, gegen Sprachlosigkeit und gegen den Tod der politischen Kultur.

Wir wollen darum – mit unseren Mitteln – den Zustand nicht existenter öffentlicher politischer Debatte beenden, bevor die Lähmung weiter voranschreitet und die Menschen Münder und Ohren endgültig schließen (politisch betrachtet).

Das Verfahren

Wir haben uns zu diesem Zweck in der Stadt mit Menschen verbündet, die auf bestimmten Gebieten als ExpertInnen gelten können. Expertinnen und Experten sind für uns diejenigen, die hohe fachliche Kompetenz mit politischem Engagement verbinden und die sich – im Rahmen des Möglichen – ihre Unabhängigkeit des Denkens bewahrt haben. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu politischen Parteien oder ähnlichen Organisationen spielt dafür keine Rolle; wohl aber haben wir davon abgesehen, Menschen mit exponierten (partei)politischen Funktionen um Mitarbeit zu bitten.

Teams aus Expertinnen und Experten werden nun Konzepte dafür entwickeln und vorstellen, wie sich fachpolitisches Handeln in einem definierten Bereich – zum Beispiel auf den Gebieten der Beschäftigungs-, Jugend, Kultur-, ... -Politik – anders als derzeit praktiziert, vielleicht auch alternativ, denken läßt.

Es versteht sich von selbst, daß wegen der Verflechtung von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik bremische Verhältnisse dabei einen eher exemplarischen Charakter haben. Uns allen geht es um Konzepte, nicht um Rezepte; aber unter angebbaren Bedingungen umsetzbar sollten die vorgestellten Ideen doch sein.

Bei diesem Verfahren kann erfreulicherweise auf eine ausdrückliche Kritik der herrschenden Politik umstandlos verzichtet werden; denn die Beiträge selbst sind die Kritik. Wir versprechen auch keine wissenschaftlich abgesicherten, wunderbar ausgewogenen Statements. Wir setzen eher auf das Gegenteil: Je deutlicher, themenspezifisch provokativer und – realitätsbezogen – visionärer die präsentierten Konzepte erscheinen, desto größer ist nach unserer Überzeugung die Chance auf einen öffentlichen politischen Diskurs über deren Inhalte.

Unser Ziel

Auf diesen Diskurs, auf die Wiederbelebung der politischen Streitkultur setzen wir. Wir hoffen, daß die hier vorgestellten Ideen Wasser für die verdorrten Pflänzchen „politische Kultur“und „politische Debatte“sein werden. Wir hoffen auf das Entstehen inhaltlicher Kontroversen, auf öffentlichen Widerspruch, auf die Möglichkeit weiterführender öffentlicher Reflexion, auf das Aufhalten der politischen Schlafkrankheit.

Das alles wird wohl an der hiesigen Politik zunächst nichts ändern – aber uns wird es ändern, und Veränderung beginnt immer in den Köpfen von Menschen. Damit schließt sich der Kreis: Von Ihnen, geneigte Leserin und lieber Leser, wird es abhängen, ob gelingt, was wir uns vorgenommen haben. Schreiben Sie an die taz, die ein Forum für Ihre Meinungen bieten wird; schreiben Sie – über die taz – an uns, damit wir öffentlichen Diskurs organisieren können. Äußern Sie sich!

Im ersten der präsentierten fachpolitischen Konzepte werden Migrations- und Ausländerpolitik behandelt; der Beitrag wird voraussichtlich am 10. Januar erscheinen.

Barbara Loer, Peter Beier