Nicht nur Pfannendeckel

„designtransfer“: Ein interdisziplinäres Projekt mit Studenten der Hochschule der Künste (HDK) versorgt die Wirtschaft mit neuen Ideen  ■ Von Lennart Paul

Die Gegend stimmt. Mitten in Charlottenburgs guter Stube, nicht weit vom Savignyplatz entfernt und von Boutiquen und Restaurants eingerahmt, aber immer noch nah genug an der Hochschule der Künste (HdK), hat „designtransfer“ sein Domizil gefunden. Seit zehn Jahren arbeiten hier Studenten der HdK an einer Verbindung von Theorie und Praxis, von Universität und Wirtschaft. Hier setzen sie sich nicht nur mit gestalterischen, sondern auch mit gesellschaftlichen und unternehmerischen Problemen auseinander. Hier organisieren sie Ausstellungen und Expertenrunden zum Thema Design.

1985 kam der Designtransfer in Gang. Die Idee stammte von Werner Linder, Professor an der Hochschule der Künste. „Für mich gab es zwei Gründe, ,designtransfer‘ ins Leben zu rufen“, sagt Linder: „Ich wollte den Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen eine Berufsorientierung bieten und zugleich auf eine Praxisorientierung des Designs hinarbeiten.“ Zunächst war das Projekt als Modellversuch auf drei Jahre angelegt.

Das erste Jahr ging vor allem mit dem Knüpfen von Kontakten drauf. 1987 aber zog „designtransfer“ aus dem kleinen Uniraum an der Straße des 17. Juni in das heutige Domizil an der Grolmanstraße 16. Hier gab es nun die Möglichkeiten, die sich Werner Linder erträumt hatte. In den Ladenräumen war Platz für eine eigene Galerie, die zum Anlaufpunkt für an Design interessierte Studenten geworden ist und auch bei Vorbeikommenden Interesse weckt. Dort finden nun auch Tagungen und Diskussionen rund um das Thema Design statt. Neben Linder arbeiten zwei studentische Mitarbeiterinnen bei „designtransfer“ – Julia Rahne und Annette Maechtel.

Wie aber funktioniert die Zusammenarbeit mit der Industrie? Längst hat sich in vielen Unternehmen herumgesprochen, daß es das Projekt „designtransfer“ gibt. Ein Kunststoffhersteller wollte zum Beispiel einmal untersuchen lassen, wie sich aus dem Material Pfannendeckel entwickeln lassen. 15 Studenten setzten sich mit dem Produktmanager des Unternehmens zusammen und sammelten Ideen. Die Studenten kamen aus unterschiedlichsten Studiengängen, von der Architektur über die Wirtschafts- und Gesellschaftskommunikation bis hin zum Design.

„Wir blieben mit unseren Ideen aber nicht bei den Pfannendeckeln stehen“, sagt Annette Maechtel. Die Studenten nahmen das Image des Kunststoffs unter die Lupe: Kunststoff als Billigprodukt, als Teil der Wegwerfgesellschaft für den Einweg bestimmt. Dieser Kunststoff ist aber beinahe weltraumtauglich und auch dementsprechend teuer. Die Studenten fragten sich darübver hinaus, wie Kunststoff auch anders in Szene gesetzt werden könnte. „Ein Problem sind die glatten Oberflächen“, findet zum Beispiel Annette Maechtel: „Ein Kratzer, und jeder Behälter gilt direkt als unansehnlich.“

Sie und ihre Kommilitonen dachten über rauhe Oberflächen nach, die Kratzer verbergen oder sie sogar zum Teil des Objekts machen könnten. Sie entwarfen schließlich einen durchsichtigen Wasserkocher aus dem Material, bei dem man dem Sieden des Wassers zusehen könnte.

Die Urheberrechte für solche Ideen bleiben bei den Studenten. Häufig ergibt sich nach einem Projekt aber eine Zusammenarbeit einzelner Studenten mit den Unternehmen: der erste Schritt zum Arbeitsplatz.

Auch bei „designtransfer“ sind die Gesetze des Marktes nicht aufgehoben: Die Firmen bezahlen für die Projekte, damit auch die nächste Unternehmung gesichert werden kann. Den Studentinnen und ihrem Professor ist aber vor allem eins wichtig: „Wir wickeln hier keine Designaufträge ab“, sagt Werner Linder: „Innovation an der Oberfläche ist nicht zukunftsträchtig. Wir versuchen immer, in größeren Zusammenhängen zu denken und dabei nie die gesellschaftliche Vertretbarkeit aus der Sicht zu verlieren.“

Schnelle Feuerwehrjobs sind nicht Sache seines Büros. Und gerade das scheint die Industrie an „designtransfer“ zu schätzen. Schließlich sind hauseigene Produktentwickler und Produktgestalter mit den Jahren häufig betriebsblind geworden. Zwei Projekte zeigen deutlich, was Werner Linder meint: Eine Ausstellung im vergangenen Herbst lief zunächst unter dem Titel „Verkehrstechnologien“, wurde dann aber schnell auf das Thema Mobilität ausgeweitet. Und anstatt schlicht Türklinken zu entwerfen, dachten die Studenten weiter: „Öffnen und Schließen von Räumen“ hieß das Thema. Das schließt auch die Möglichkeit ein, Türklinken überflüssig zu machen und abzuschaffen. Ein weiter Blick in die Zukunft, Star Trek läßt grüßen.

Für Werner Linder ist auch wichtig, daß Studenten früh erste Erfahrungen außerhalb der Geborgenheit der Hochschulklasse machen können. Mit seinem Projekt arbeitet er gegen das Berufsbild des Designers an, das viele Leute im Kopf haben: „Designer sind heutzutage in der Regel keine Einzelkünstler mehr. Sie entwickeln im Team, wobei Menschen unterschiedlicher Berufsfelder zusammenarbeiten. Das praktizieren wir bei uns.“