: Rosarote Geometrie
■ Keine Grenzen, aber viele Gegner: Eine Ausstellung rekonstruiert die Geschichte der abstrakten Kunst im Europa zwischen den Weltkriegen
Der rasende Aufschwung der modernen Kunst nach dem Ersten Weltkrieg markierte auch das Ende der Gegenständlichkeit. Ob in Mailand, im Bauhaus in Weimar und Dessau oder in der Wiener Kunstgewerbeschule: Nicht die malerische Abbildung der Welt, sondern ihre künstlerische Gestaltung wurde zum ästhetischen Prinzip. Die Abstraktion kannte keine politischen Grenzen, sie wurde zum gemeinsamen Nenner einer ganzen Epoche der europäischen Kunstgeschichte – einer Epoche, die jetzt im Landesmuseum Innsbruck rekapituliert wird.
Die Ausstellung unternimmt so etwas wie eine vergleichende Kunstgeschichte der Abstraktion: Vor allem aus privaten Sammlungen, aber auch aus den Beständen des Museums und aus Leihgaben wird die abstrakte Kunst in Österreich, Italien und Deutschland in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs vorgestellt. Einige Unterschiede werden deutlich: Während in Deutschland und später auch in Österreich die abstrakte Kunst neben dem Expressionismus als „entartet“ verpönt und dann auch verfolgt wurde, vergriff sich das faschistische Regime in Italien nicht an der Malerei – selbst wenn sie außerhalb der Parteilinie lag.
Die Biographien der in der Ausstellung vertretenen Künstler bestätigen die unterschiedliche Handhabung der beiden totalitären Regime: Während die meisten deutschen und österreichischen Künstler in die Emigration gingen, konnten die Italiener im Lande bleiben. In allen drei Ländern bedeutete die Abstraktion vor allem aber die Verdrängung der menschlichen Gestalt aus der Malerei. Das deutsche Bauhaus brach am radikalsten mit der gegenständlichen Maltradition. Bilder von bekannten deutschen Meistern wie Josef Albers und Willi Baumeister und weniger bekannten wie Walter Dexel und Erich Buchholz verdeutlichen die Gestaltung der Farbe als Form.
Doch auch die Wiener Kunstgewerbeschule stellte die abstrakte Komposition von Farbflächen in den Vordergrund der Kunst. Friedrich Aduatz kombinierte geometrische mit amorphen Formen und verwendete eine plakative Farbigkeit, die den Bildern eine dekorative Dimension verleiht. Und während Georg Adams- Teltscher die Abstraktion mit einem dem Kubismus entlehnten Vokabular mischte, versuchte der „Wiener Kinetismus“, der durch Elisabeth Karlinsky und Erika Giovanna Klien vertreten ist, die architektonische Sprache der Moderne in der Malerei zu übersetzen. Damit bildete diese Wiener Malrichtung eine ästhetische und thematische Brücke zum italienischen Futurismus.
Die italienische Avantgarde wiederum ist durch zwei ihrer berühmtesten Vertreter repräsentiert: Giacomo Balla, dessen „Il vortice della vita“ von 1929 mit seinen rosaroten Farbtönen auf grünlichem Hintergrund am Rande des Kitsches liegt; und Enrico Prampolini, dessen Collage „Intervista con la materia“ von 1930 die Ausdrucksmöglichkeit von Materialienkombination ausprobiert und dabei die Mischtechnik späterer Generationen vorwegnimmt. Die rein geometrischen, filigranen Zeichnungen von Luigi Veronesi gehören zu diesen Höhepunkten der Ausstellung, die sich bewußt – allerdings auch von den finanziellen Mitteln des Museums bestimmt – auf kleinere Formate konzentriert.
Überhaupt ist es ein Verdienst von „Abstracta“, daß die Ausstellung nicht mit Hauptwerken von großen Meistern protzt. Eher schon zeigt sie neben einigen renommierten Namen, die das Publikum anlocken, auch weniger bekannte oder ganz zu Unrecht unbekannte Bilder von Künstlern. Erst mit diesen Entdeckungen bekommt man den Überblick. Stefana Sabin
„Abstracta. Austria, Germania, Italia 1919–1939. Die andere entartete Kunst“. Bis 11.1., Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck. Ab 22.1. in Trento.
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