: „Ich habe erkannt, daß ich hier mein Leben führen muß“
Alltag im Frauengefängnis Hahnöfersand: Zellen mit Fenstern, der Unterschied zwischen Schließern und Beamten und ein Alphabetisierungskurs für Frauen, die lesen und schreiben können ■ Von Elke Spanner
„Was, du liebes Mädchen sitzt wegen Körperverletzung?“Diana ist verblüfft. Schallend lacht sie los. Biegt sich vor Lachen, und als müßte sie sich dabei abstützen, legt sie den Arm um die Freundin und drückt sie kurz fest an ihre Schulter. Die grinst, halb verlegen, halb gerührt. Angesichts der zärtlichen Szene will Diana offenbar einen falschen Eindruck zurechtrücken. Nachdrücklich erklärt sie: „Wir sind hier alles ganz böse Mädchen.“Und amüsiert sich köstlich über diese Wahrheit.
Die bösen Mädchen tummeln sich auf den Gängen des Frauengefängnisses auf der Elbinsel Hahnöfersand. Zwischen 6.30 und 21 Uhr ist ihnen das erlaubt. Und alle sind rege unterwegs, jede scheint hier etwas zu erledigen zu haben. Eine 40jährige mit silbernem Nasenstecker hat sich mit ihrem Stuhl gemütlich am Telefon eingerichtet. Den einzigen Kontakt zur Welt jenseits der Insel kostet sie aus, solange die Telefonkarte reicht. Zwei Frauen im Jogginganzug schlendern vorbei, blicken flüchtig durch die Glasscheiben in den Aufenthaltsraum, prüfend, ob sich ein kurzer Abstecher lohnt. Offenbar nicht. Sie ziehen weiter. Und werden beinahe von Jessica umgerannt. Die stürmt Richtung Aufsichtszimmer und fängt schon auf dem Weg dorthin an zu fluchen. Etwas, was sie gerne bei sich hätte, darf sie zu ihrem Wochenendausgang nicht mit rausnehmen. Die aufsichtführende Beamtin ist erst ratlos, schließlich schlägt sie der Gefangenen vor, einen Antrag bei der Anstaltsleiterin zu stellen. „Ach, die! Die lehnt meine Anträge doch immer ab“, murrt Jessica. Doch es klingt nicht böse, sondern flapsig, und dann entschließt sie sich doch zu einem Versuch. Die Beamtin blickt ihr erleichtert hinterher. Alltagsprobleme im Knast.
Wer hier arbeitet, wer hier einsitzt, ist kaum zu unterscheiden, denn Uniformen trägt im Frauengefängnis niemand. Die BeamtInnen könnten auch Herbergseltern heißen. Von innen betrachtet verbreitet der Knast das Flair einer Jugendherberge, oder, wie Tina ihr Zuhause auf Zeit bezeichnet, eines „Mädcheninternates“. Das Wort „Schließer“benutzt niemand. „Ich erkenne sofort, wer Schließer ist und wer Beamter“, behauptet Tina, die schon in einem anderen Gefängnis saß und weiß, wovon sie spricht. „Hier gibt es nur Beamte“, sagt sie und verleiht dem Frauengefängnis in Hahnöfersand damit eine besondere Auszeichnung. Dann weist sie mit dem Kopf in Richtung des benachbarten Jugendgefängnisses. „Die Kinder da sitzen allerdings wirklich im Knast.“
Man hat sich um Freundlichkeit bemüht, als die Strafanstalt vor einem halben Jahr eingerichtet wurde. Wo beispielsweise im Männerknast Santa Fu graue Stahltüren scheppern, hängen in Hahnöfersand blau gestrichene Türen in den Angeln. In Santa Fu haben die winzigen Zellen nur Oberlichter. Hier gibt es normale Fenster in Blickhöhe – ein Standard, der in der kriminologischen Wissenschaft längst als unverzichtbar gilt, bei den mittelalterlichen Hamburger Gefängnissen jedoch fast futuristisch anmutet. Denn Hahnöfersand ist ein Neubau.
Bevor es den Knast auf der Elbinsel gab, waren weibliche Strafgefangene in Vechta oder in Lübeck untergebracht. Viele saßen aber auch in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis – zu den dort herrschenden Bedingungen. 23 Stunden am Tag in der Zelle eingesperrt, Freizeit und Freizeitangebot fast Null. Verglichen damit erscheint vielen Frauen Hahnöfersand wie ein Hotel. „Hier kann man leben“, sagt Tina, die das auch noch mindestens ein halbes Jahr tun muß.
Die Palette der Straftaten, die die Frauen auf die Insel verbannt, ist breit und für Frauen klassisch. „Die meisten sind wegen Betrug und Diebstahl verurteilt, häufig zusammen mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz“, erläutert Anstaltsleiterin Hilde van den Boogaart. „Gewaltdelikte verüben Frauen kaum und wenn, dann im sozialen Nahbereich.“Würden Frauen handgreiflich oder griffen sie sogar zu einer Waffe, sei das meist der Endpunkt eines lange schwelenden Konfliktes.
Weswegen die einzelnen Frauen hier sind, wissen sie kaum voneinander. Etliche sind im Methadonprogramm, da ist dann leicht zu vermuten, daß sie wegen Beschaffungskriminalität einsitzen. Damit hört das Spekulieren aber schon auf, und gefragt wird kaum. „Wir sind alle hier, nur das zählt.“Tina zuckt mit den Schultern. „Keine ist besser oder schlechter, weil sie einen Mord begangen hat oder schwarzgefahren ist.“Sie weiß nur, daß „hier alles gemischt ist: Mord, Totschlag und Ladendiebstahl in 73 Fällen“, schmunzelt sie.
Die Gefangenen in Hahnöfersand haben im Schnitt rund zweieinhalb Jahre zu verbüßen. Eine Frau allerdings wurde zu zehn Jahren verurteilt. Auch Diana gehört zu den Langzeitsträflerinnen. Drei Jahre Gefängnis hat sie bereits hinter, fünf Jahre noch vor sich. Wegen Drogengeschäften. Ehe sie ihre Acht-Quadratmeter-Zelle bezog, hat die Kolumbianerin illegal in Hamburg gelebt. Ihre Perspektive nach dem Knast ist eindeutig: die Abschiebung aus Deutschland. Das erzählt sie mit einer Gelassenheit, als würde sie von einem geplanten Volkshochschulkurs berichten und nicht davon, in fünf Jahren irgendwo auf der Welt wieder ganz von vorne anfangen zu müssen. Auch der jahrelange Ausstieg aus dem sozialen Leben macht ihr keine Angst. Jetzt nicht mehr. „Ich habe erkannt, daß ich hier mein Leben führen muß“, erklärt sie. „Hier ist jetzt erstmal mein Platz. Ich konzentriere mich ganz darauf, was ich hier machen kann.“
Die Knastzeit gilt nicht als Auszeit. Sie ist Lebenszeit, und viele Frauen versuchen, aus ihrer Not eine Tugend zu machen. Jeden Morgen macht sich Diana sorgfältig zurecht. So, als würde sich ihr Alltag in der City abspielen und nicht auf dem Gang vor ihrer Zelle. Ihr Gesicht ist gekonnt geschminkt, die Wimpern getuscht, die Lippen rot nachgezogen. Auch Tina trägt Schmuck, klirrende Armreifen und Ohrringe, die zu lang und schwer sind, als daß sie sie schon vor Monaten angelegt und dann vergessen haben könnte. Die Eleganz wirkt für Außenstehende deplaziert, doch Diana ist erstaunt über die Frage nach dem Warum. „Ich achte hier auf mich. Ich habe Lust und Muße, meine Haut zu pflegen oder eine Diät zu machen. Alt will ich hier nicht rauskommen.“Tina hat beobachtet, daß viele Frauen im Knast erstmals richtig zur Ruhe kommen – zwangsläufig. Einige haben lange auf der Straße gelebt, ihren Tag mit existentiellen Sorgen verbracht und nicht mit der Frage, ob die Haare vielleicht mal eine Kurpackung vertragen könnten. „Hier haben sie die Möglichkeit, sich zu pflegen. Körper und Seele.“
Das ist auch Tinas Rezept zum Überleben im Knast: „Wenn du innerlich zur Ruhe kommst, ist es egal, wo du bist. Du willst die Freiheit, na klar. Aber wenn du sie hast und mit dir selber nicht klarkommst, geht es dir auch nicht gut.“Ihr Zweckoptimismus heilt die Sehnsucht. Denn „wenn du ständig daran denkst, daß da draußen deine Familie und Freunde sind, dann hälst du es hier keine Woche aus.“
Daß es „eine Kunst ist, nicht die ganze Kraft in die Rebellion zu stecken“, weiß auch Anstaltsleiterin van den Boogaart. Ein strukturierter Alltag soll den Gefangenen ihr Leben innerhalb der Mauern und Zäune erträglich machen. Bis auf zwei Frauen, die das gesundheitlich nicht können, arbeiten alle oder gehen zum Deutschunterricht. 52 Arbeitsplätze gibt es für die 46 Inhaftierten und damit Vollbeschäftigung. „Das ist selten“, sagt van den Boogaart nicht ohne Stolz. Allerdings bezeichnet sie die Jobs selbst als reine „Einstiegsarbeit“: Anlerntätigkeiten, die den Alltag auf der Insel planen, jedoch kaum eine Berufsperspektive für die Zeit danach eröffnen. Einige arbeiten in der Wäschekammer, andere in der Küche. Auch gereinigt wird der Knast von den Gefangenen. Wer sich das Recht auf Lockerungen erworben hat, arbeitet außerhalb des Hauses auf der eingezäunten Insel: in einem Landschaftspflegebetrieb oder in der Gärtnerei.
Im Haus gibt es zwei kleine Werkstätten, „Arbeitstherapeutische Betriebe“genannt. In der einen wird mit Holz und Gips gearbeitet, in der anderen mit Papier und Textilien. Hier wird beschäftigt, wer „sehr instabil ist“, so van den Boogaart: „Frauen, die etwa eine lange Drogenkarriere und nie gearbeitet haben, haben keine Vorstellung von der Belastung eines regulären Arbeitstages.“Darauf sollen sie vorbereitet werden. Neben Papiermobiles und Holzenten am Stiel entsteht hinter Gittern manchmal auch Ungeahntes. Sylvia hat ein Wandbild gemalt, von dem die anderen so stolz erzählen, als hätten sie es gemeinsam geschaffen. Erstmals hat Sylvia mit Ölfarben gemalt und dabei ihr Talent entdeckt. Nun bereitet sie eine eigene Ausstellung vor.
Am Arbeitsangebot ist zu sehen, daß das Gefängnis noch in seiner Aufbauphase steckt. Nach ihrem ersten Ziel, Vollbeschäftigung zu erreichen, will van den Boogaart nun in einer zweiten Phase die Qualität der Arbeit verbessern. Den Frauen soll nicht nur Beschäftigung im Knast, sondern auch eine Perspektive für die Zeit danach an die Hand gegeben werden. Ab Januar wird es einen Computerraum und eine Lehrerin geben, die Computerkurse unterrichtet. „Endlich“, knurrt Tina. Vieles sei den Frauen versprochen worden, als sie nach Hahnöfersand kamen, und nur einiges konnte erfüllt werden. Zum Beispiel Schulunterricht und die Möglichkeit, einen Schulabschluß zu machen. Die einzige Lehrerin bietet bisher aber nur Deutschkurse für die Ausländerinnen an. Erst dieses Jahr soll ein neuer Förderkurs eingerichtet werden, der Frauen auf den Hauptschulabschluß vorbereitet.
Allerdings: Das Konzept wurde erarbeitet, ehe Frauen nach Hahnöfersand kamen – und ehe bei ihnen nachgefragt werden konnte, welche Bedürfnisse überhaupt vorhanden sind. So gibt es seit Wochen einen Handballkurs. Begeistert haben sich viele Frauen gemeldet. Nur trainiert haben sie noch nicht – mangels Halle. Weiteres Beispiel: Eine externe Drogenberatung war ursprünglich nicht vorgesehen. Eine Gefangene mußte sich persönlich schwer ins Zeug legen und bergeweise Bittbriefe verschicken, bis die Beratung schließlich durchgesetzt war. Umgekehrt sah das Konzept ursprünglich vor, Alphabetisierungskurse anzubieten. Die Realität im Knast hat die Planungen ad absurdum geführt: Die Frauen können durchweg lesen und schreiben.
Auch ob der neue Hauptschulkurs auf Begeisterung stößt, muß sich noch zeigen. „Die meisten, die hier rauskommen, sind 30 Jahre und älter“, erklärt Tina. „Denen ist doch egal, ob sie jetzt noch einen Schulabschluß machen. Für die ist wichtig, danach richtige Arbeit zu finden.“Mehr fiebern die Frauen deshalb dem Berater vom Arbeitsamt und der Beraterin des Vereins „Biber e.V.“entgegen. Die kommen regelmäßig nach Hahnöfersand und versuchen, den Frauen, die vor der Entlassung stehen, einen Job oder eine Umschulung zu vermitteln.
Nie wieder will sie zu Hause sitzen „und aus lauter Langeweile beschissene Kontakte aufnehmen“, hat Tina sich geschworen. Diana ist von ihrer Entlassung noch Jahre entfernt. Wie die Zeit vergeht, erkennt sie an einem Foto über ihrem Bett. Es zeigt ihren Sohn, der darauf noch ein Junge und mittlerweile ein junger Mann ist. „Oh ja, ich freue mich so sehr darauf, mit ihm nach Hause gehen zu dürfen.“Diana seufzt. „Man kann hier schon mehr machen als anderswo. Aber Knast ist Knast.“
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