: Asiatische Werte haben Marktwert
■ Die philosophische Tradition Chinas läßt sich nicht gegen den westlichen Universalismus der Menschenrechte ausspielen
Kein Staatsbesuch Jiang Zemins in Bonn oder Washington, kein Gegenbesuch Helmut Kohls in Peking, ohne daß die Frage der Menschenrechte aufgeworfen und von den Akteuren unbefriedigend beantwortet würde. Eine gedankenarme, ökonomiefixierte Außenpolitik in den meisten westlichen Industriestaaten spricht dem als Partner begehrten „Reich der Mitte“ in Menschenrechtsfragen Narrenfreiheit zu. Westliche Politiker und ihre Berater, die ihren eigenen kulturellen Wurzeln und Werten entfremdet scheinen, plappern Propagandasprüche von Autokraten wie Lee Kuan Yew, Mahathir Mohamad oder Jiang Zemin nach und faseln von „asiatischen Werten“, wo sie Laisser-faire um der Geschäfte willen meinen.
„Mit allem Nachdruck [ist] dafür einzutreten, daß Menschen nicht willkürlich inhaftiert und daß sie nicht gefoltert und getötet werden – denn Schmerzen erleidet kein Mensch gern, gleich, aus welchem Kulturkreis er kommt.“ Diese radikal antikulturalistische „persönliche Anmerkung“ von Wei Shanshan, einer in der BRD lebenden Schwester des Dissidenten Wei Jingsheng, hat trotz dessen Entlassung nach 18 Jahren Haft in der VR China nichts an Brisanz verloren. Sie findet sich in einem von Gregor Paul und Caroline Y. Robertson-Wensauer herausgegebenen Sammelband mit zehn Diskussionsbeiträgen über „Traditionelle chinesische Kultur und Menschenrechtsfrage“. Physisch und psychisch am Ende, soll Wei sich nun in den USA auskurieren – unter Androhung seiner Wiederinhaftierung, falls der „Vater der chinesischen Demokratiebewegung“ es wagt, vor dem Jahr 2009 (dem offiziellen Ablauf seiner Strafe) aus dem De-facto-Exil in seine Heimat zurückzukehren. Wo bleiben da die „asiatischen Werte“, das konfuzianische Ideal?
Welch Schindluder mit indigenen Philosophien wie dem Konfuzianismus durch seine regierungsoffizielle Instrumentalisierung getrieben wird, zeigt der Frankfurter Sinologe Heiner Roetz in dem Aufsatz „China und die Menschenrechte: Die Bedeutung der Tradition und die Stellung des Konfuzianismus“ auf. Er weist den lautstarken Kulturalisten nicht nur Denkfehler und absichtsvolle Vereinfachungen nach, sondern präpariert anhand zahlreicher Textbeispiele auch anschaulich die Bezüge der klassischen Philosophie Chinas zum europäischen Menschenrechtsdenken heraus: „Soziales oder kollektives Wohlergehen sind gegen individuelle Würde nicht ausspielbar [...]. Mengzi verlangt eine milde Justiz und, wie schon Konfuzius, eine weitestgehende Absage an das Töten.“ Nach kritischer Durchsicht der Klassiker kommt Roetz zu dem Schluß: „Der Konfuzianismus in seiner genuinen Form steht den Menschenrechten weit näher als das Regime, das sie fortwährend mißachtet [...]. Nicht die Tradition ist das Problem, sondern die Weigerung, sie auf der Höhe der Zeit zu rezipieren.“
Auch der Karlsruher Philosoph Hans Lenk geißelt den „expliziten politischen Opportunismus“ unserer Tage. In seinem Grundsatzartikel „Menschenrechte oder Menschlichkeitsrechte?“ führt er hierzu aus: „Wenn ein Politiker oder Jurist Menschen- und Grundrechte als disponabel bzw. verhandelbar [...] ansieht, so mißachtet er uno acto diese universalmoralische Grundidee der Menschlichkeitsansprüche und betrachtet generell die durchaus umfassend gemeinten Menschenrechtsregelungen und deren Kodifizierungsversuche bloß noch als politisch disponible und manipulierbare ,Verhandlungsmasse‘. Dies [...] ist aber normativ-universalmoralisch und auch humanitär bzw. humanistisch gesehen inakzeptabel, ja unverantwortlich.“
Leider kann hier auf die übrigen, ebenfalls lesenswerten Beiträge dieses wichtigen Readers nicht näher eingegangen werden. Weder auf die Auseinandersetzung des Karlsruher Philosophen Gregor Paul mit dem klassischen Konfuzianismus, Rationalität und Demokratisierung, noch mit der Abhandlung der Karlsruher Soziologin Caroline Y. Robertson-Wensauer, „Frauenrechte sind Menschenrechte! China und die 4. Weltfrauenkonferenz“.
Dieser allgemeinverständlich geschriebene Band gehört eigentlich auf den Tisch jedes Politikers und in eine bezahlbare Taschenbuchedition. Statt dessen wurde er in einer überteuerten Universitätsschriftenreihe vergraben – vertane Chance von Hochschulintellektuellen, einmal breitenwirksam auf den aktuellen politischen Diskurs korrigierend Einfluß zu nehmen. Christiane Hammer
Gregor Paul, Caroline Y. Robertson-Wensauer (Hrsg.): „Traditionelle chinesische Kultur und Menschenrechtsfrage“. Nomos Verlagsgesellschaft (Schriften des Instituts für angewandte Kulturwissenschaft der Universität Karlsruhe [TH], Bd. 3), Baden-Baden 1979, 221S., 79 DM
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