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Ein Gegengift zum Hokuspokus von Akte X

■ Im achten Band seiner „ungewöhnlichen Abenteuer“ schickt der Comiczeichner Tardi seine Heldin auf Aliensuche. Jetzt ist die verspielte Fin-de-Siècle-Story auf deutsch erschienen

Rote Tentakel kommen aus den Augen eines verrückten Professors, ein Polizist geht als weißer August umher, alle Totgeglaubten tauchen wieder auf: der Anarchist, der die Siegesfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs mit einer Bombe aufmischte; der Soldat, den eine Kugel in den Kopf traf; und Adele, die mumifiziert in einer Badewanne das Massaker in den Gräben verschlief. Alles klar?

Seit 1976 zeichnet Jacques Tardi „Adeles ungewöhnliche Abenteuer“, in der sämtliche Endzeitphantasmen des Fin-de-Siècle auftauchen: morbide Maschinenträume, in denen die Grenze zwischen Tod und Leben aufgehoben wird; Sekten, in üppiges Dekor gebannte Sexualität; assyrische Dämonen, Monster aus der Frühzeit und zahllose mysteriöse Ritualmorde. Doch während „Akte X“ die US-amerikanischen Verschwörungsängste durchklöppelt und mit immer gleichen rhetorischen Figuren am Ende ungelöst läßt, spielt Tardi von Band zu Band mehr und mehr mit Versatzstücken.

Drei Jahre nach dem französischen Erscheinen ist jetzt „Alles Monster“, der achte Band des „Adele“-Zyklus, übersetzt worden. Hier entwirft Tardi eine fröhliche Comic-Postmoderne. Er zitiert fleißig aus seinen vorherigen Alben (auch einem, das nicht zum Zyklus gehört), verulkt Verlagspolitik (auf einem von Adeles Büchern wird „wegen der Kinder“ ein Flugsaurier durch ein riesiges blaues Kaninchen ersetzt), ironisiert den Siegestaumel nach dem Kriegsende und verquickt außerdem alles mit allem. So entsteht eine lustige Unglaubwürdigkeit, wobei jeder Kalauer eine Absicht verfolgt und jede Verwirrung System hat. Organisierter Trash als Gegengift zu Verschwörungsparanoia. Am Ende wird zwar die Herkunft der Tentakel mit einem Kriegstrauma (eine Verleiblichung der Angst) erklärt, aber das ist nebensächlich, denn Tardi hat schon wieder zahlreiche Cliffhanger eingebaut, damit die Geschichte sich in zahllosen Episoden im nächsten Band weiter fröhlich mäandernd ausbreiten kann. Nicht die bierernsten Scully und Mulder sorgen für Aufklärung, sondern Tardis versierter Kalauer bringt Licht ins Dunkel. In einem der letzten Panels liest ein von den Tentakeln entführtes Baby vergnügt in einem Comic von Tardi. Bei solchen Monstern schläft die Vernunft nicht. Martin Zeyn

Jacques Tardi: „Alles Monster“. Edition Moderne 1997, 29,80 DM

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