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Berlin, Bihać – Versuch einer Rückkehr

Seit fünf Jahren leben junge BosnierInnen in Deutschland. Jetzt müssen sie zurück in eine Heimat, die ihnen fremd geworden ist. Ein Berliner Modellprojekt versucht zu helfen, indem es die Bürgerkriegsflüchtlinge ausbildet  ■ Aus Berlin Sascha Borrée

„Wenn es mir in Bosnien nicht gefällt, komme ich wieder und heirate meine deutsche Freundin.“ Ermin Softić, ein schmächtiger 18jähriger, lacht und sieht von seinem Schweißgerät auf. Dann wird er ernst. „Nein, ich will schon zurück. Was soll ich denn in Deutschland? Von Sozialgeld will ich nicht leben.“

Bei der Rückkehr in ein selbständiges Leben hilft ihm und 120 anderen jungen Flüchtlingen ein Projekt der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John. Sie werden in verschiedenen Handwerksberufen oder zu KrankenpflegerInnen ausgebildet; erst drei Monate in Berlin, danach – um sich wieder einzuleben – neun Monate in Bosnien. „Viele sind gezwungen, schon in jugendlichem Alter ohne Eltern auf eigenen Füßen zu stehen. Da liegt doch auf der Hand, was eine Berufsausbildung bedeutet“, sagt John. Was genau, das weiß weder sie noch Ermin Softić. Noch ist nämlich unsicher, was die Flüchtlinge in Bosnien erwartet.

Gemeinsam mit Ermin Softić lernen fünf Jugendliche für Metallverarbeitung, Elektro- und Wasserinstallation. Sie alle haben sich freiwillig für die Rückkehr entschlossen – das war Bedingung für die Ausbildung. Ganz behaglich ist ihnen trotzdem nicht. „Ich bin ein bißchen deutsch geworden“, Ermin sagt das zwar mit hartem, slawischem Akzent, aber fast fließend. „Ich kenne fast nur Deutsche. Ich verstehe mich besser mit ihnen als mit Bosniern. Sie sind ruhiger und gelassener. Bosnier werden viel schneller aggressiv.“ Die sechs Jungen sind schon seit fünf Jahren in Deutschland. In ihrer freien Zeit machen sie, was deutsche Jungendliche machen. Sie spielen Fußball oder Schlagzeug und hoffen, damit irgendwann ihren Lebensunterhalt zu verdienen – Träume, geboren im reichen Deutschland.

Im März fahren sie nach Bihać. Dort sollen sie zusammen in einer Wohngemeinschaft leben und ihre Ausbildung beenden. „Ich mit den anderen Jungs in einer Wohnung? Das wird noch Probleme geben. Ich höre HipHop, die anderen stehen auf Heavy Metal oder Rap.“ Doch die Probleme, die sie erwarten, sind nicht wirklich musikalischer Natur. Sie siedeln vom reichen Deutschland in das zerstörte Bosnien über. „Die älteste Straßenbahn, die hier fährt, ist da noch supermodern“, sagt einer.

„Wenn die Leute in Bihać sich provoziert fühlen, ziehen sie gleich das Messer. Und die ziehen das nicht nur, die stechen auch zu“, meint ein anderer. Und ein Dritter fällt ein: „Wenn wir zurückkommen, gucken die auf uns herab. Die sehen uns als Drückeberger, weil wir nicht in Bosnien geblieben sind. Aber was willst du machen, wenn du allein bist, und hinter dir kommen zehn Männer mit Maschinengewehren? Da mußt du laufen.“

Das Problem der Integration sieht auch die Ausländerbeauftragte, aber sie ist zuversichtlich. „Die Rückkehrer haben die Chance zu sagen: ,Jetzt sind wir da. Jetzt wollen wir beim Wiederaufbau helfen.‘ Aber natürlich muß das Zusammenwachsen begleitet werden.“ Dazu soll das Projekt beitragen. Im zweiten Teil der Qualifikation, in Bosnien, werden die Flüchtlinge zusammen mit Daheimgebliebenen ausgebildet und betreut. „Wir freuen uns auf die Rückkehr“, bekräftigen zwar Ermin Softić und seine Kollegen zwar immerfort. Doch dann rutscht es einem heraus: „Zurückgehen ist schon irgendwie Scheiße.“

Zurückgehen aber müssen sie. Das Qualifizierungsprojekt bietet ihnen da eine einmalige Chance: Die jungen Flüchtlinge haben oft nur Hauptschule oder bosnische Grundschule absolviert. Jetzt weist man sie nicht einfach aus oder lockt sie mit Geldprämien nach Bosnien. Statt dessen soll ihnen eine Perspektive in ihrer alten Heimat geboten werden.

220 Lehrstellen sind noch frei

340 Ausbildungsplätze wurden mit Fördermitteln der Europäischen Union und in Zusammenarbeit mit der bosnischen Regierung eingerichtet, 220 sind noch frei. „Das Projekt ist ganz neu. Wir müssen erst Vertrauen gewinnen“, sagt Barbara John. „Aber wenn es einmal gut läuft, wird sich das herumsprechen.“

Ermin Softić stammt aus der Republika Srpska. Er geht trotzdem nach Bihać. „Mein Vater ist immer noch im Serbengebiet, aber er ist mit einer Serbin verheiratet. Die hat mich und meinen Bruder geprügelt. Wir sind mit meiner Mutter nach Deutschland gekommen“, sagt Ermin. Doch der Vater bleibt – zumindest was den Beruf angeht – für ihn ein Vorbild. Immer Handwerker sein will er nicht. „Ich will Chirurg werden, wie mein Vater. Ich würde gern in Sarajevo studieren. Aber ob das klappt?“ grübelt er. Wie seine Schicksalsgenossen sieht er nur eine Alternative: „Ich kann ja immer noch zur Armee gehen.“ In Bosnien gibt es Wehrpflicht, nur während der Ausbildung sind die jungen Männer davon freigestellt. „Man kann sich auf zehn Jahre verpflichten, wie in Deutschland. Das machen viele, die keine Arbeit haben. Ist auch ganz gut so. Nur wenn ein neuer Krieg kommt...“, fragt sich Ermin und nimmt sein Schweißgerät wieder zur Hand.

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