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Alle drei Sekunden ein Impuls zur Vergrämung

■ Weidezäune für die Städte: Wie die zivilisierte Welt mit der vermeintlichen Taubenplage fertig werden will

ein, diesen einen Namen erwähnen wir nicht. Und auch den anderen, der erwähnt werden muß, wenn der erste erwähnt wird, erwähnen wir nicht. Und das, obwohl die Verpackung dieses Gebäudes an der Langenstraße in der Bremer Innenstadt (rechts, links der Schütting) ganz an Christo und Jeanne Claude erinnert.

Doch die Verhüllung hat einen profanen Zweck. Die Telekom, der das Gebäude gehört, hat eine Firma für Schädlingsbekämpfung und eine weitere für Gerüstbau angeheuert, um der Colomba urbanis, der wilden Haustaube oder den „Ratten der Lüfte“den Kampf anzusagen: Für rund 100.000 Mark wird ein Taubenabwehrsystem installiert und der Dreck der Vergangenheit entfernt. Was bei genauer Betrachtung natürlich eine Gemeinheit ist und Gemeinheiten nach sich zieht.

Tauben gelten als blöd. Aber man sagt ihnen auch gewisse Fähigkeiten nach. Die Fähigkeit zum Wandern zum Beispiel. „Umlagerung“nennt das der Mensch vom Fach, der gewöhnlich ein Mann ist. So wie Herr K. von der Firma für Schädlingsbekämpfung. Und der nimmt es sehr genau. Wenn Sie ihn fragen: „Sie bekämpfen also die Tauben am Gebäude an der Langenstraße“, haben Sie schon einen Fehler gemacht. „Wir (vergrämt) bekämpfen keine Tauben! Das heißt (wissend) Vergrämung!“Das steht laut Duden aktiv für Verärgern, Verscheuchen und passiv für Verdrossen sein. Oh, Gott im Journalistenhimmel: Schicke ein rettendes, abrüstendes, weitere Antworten entlockendes Wort.

Ägyptische Statue, 3. Jahrhundert, Marmor ... Präkolumbische Figur, 6. Jahrhundert, Gold ... Weltneuheit, Ende des 20. Jahrhunderts ... Ja, das ist es: „Aluminium!?“„Richtig, zur Vergrämung benutzen wir Spikes aus Aluminium“, sagt Herr K. (beruhigt) und fährt fort: „Wir spannen auch Taue und Netze.“Und – noch zwei rettende Worte – „gibt es auch elektronische Abwehrmaßnahmen?“„Ja, genau, da verlegen wir Schienen und erzeugen Weidezauneffekte. Alle drei Sekunden geht da ein Stromimpuls durch.“Der Mensch hat die Welt in eine Parklandschaft verwandelt, nun verlegt er Weidezäune in den Städten. Und was bleibt den Tauben nach der Vergrämung? Richtig, die Umlagerung.

„In der Nachbarschaft wurden überall Schutzmaßnahmen gegen die Tauben ergriffen“, sagt Herr S. von der Telekom. „Da kamen die alle zu uns.“Und mit ihrem Kot hätten sie nicht nur den Fußweg, sondern auch Passanten getroffen. „Und das geht ja nicht, wir haben im Gebäude schließlich Mieter ...“– von der Deutschen Bank und Möbel Thäte. Und aus der Vergrämung kam die Vergrämung: Regenrinnen, Fenstersimse, Erker, Risalite, Schneegitter und „einfach alles“werden nach Herrn K. jetzt mit Accessoires ausgestattet.

Wie die echte Kunst am Bau hat auch diese eine relativ kurze Geschichte. Erst seit etwa 15 Jahren wird richtig professionell vergrämt. Davor galt Dilettieren als schick. So wie am Bremer Rathaus. Da hatten schlaue Leute einst glibschiges Silicon verschmiert. Bis die Masse hart wurde und heute nicht mehr zu entfernen ist. Die Schienen, Spitzen, Netze, Spikes, Gitter und Taue aus Aluminium, Edelstahl und anderen Materialien sind schon hart, aber dafür kann man sie entfernen.

Wenn man will. Eines Tages. Vermutlich wird im Jahr 2005 die erste Umgründung von Firmen für Taubenvergrämung in Unternehmen für Vergrämungsbeseitigung amtlich bekannt gegeben so wie um 1980 aus den Asbestverlegern Asbestentsorger wurden. Bis dahin aber, RebirtherInnen Obacht, ist das Dasein einer Taube nicht erstrebenswert.

Der Beginn der professionellen Vergrämung mit Weidezauneffekten und dem Rückbau von Start- und Landeplätzen hat nämlich einen Schneeballeffekt: Fangen zwei Nachbarn an, folgt die Telekom, und dann gibt es kein Entrinnen mehr. Damit Helmuth Moltke, der von einem unbekannten Bremer in Stein gehauen und an der Liebfrauenkirche angebracht wurde, nicht das Ziel der letzten Umlagerung wird, muß auch er eines Tages vergrämen.

Und dieser Tag ist nahe. Auf den ersten Blick scheinen die meisten Gebäude in der Bremer Innenstadt frei von Taubenabwehrsystemen zu sein. Der Beweis: Eine Kotspur an einem Seitenfenster des Schütting, dem Sitz der Handelskammer. Doch dieser Eindruck täuscht. „Der Schütting ist mit einem Taubenabwehrsystem ausgestattet“, weiß Herr K. Gleiches gilt für das Paula-Becker-Modersohn-Haus, ach, für die gesamte Böttcherstraße, den Dom und viele weitere Gebäude des Zentrums.

Und es gibt nicht wenige Tauben, die auf Anfrage versichern, sie seien vor lauter Umlagerungen schon ganz vergrämt. Sie sollten vielleicht bei einer Firma für Schädlingsbekämpfung und Taubenabwehrsysteme anrufen. Dort würde man ihnen sagen: „Noch haben wir guut zu tun!“Aber andererseits: Außer dem Kotstreifen am Seitenfenster des Schütting und anderen durchaus ätzenden Hinterlassenschaften auf dem Liebfrauenkirchhof und am Börsenhof („ein Schandfleck“, so Parlamentspräsident Reinhard Metz) sind relativ wenig Tauben noch Spuren zu finden. Sagt ein Berliner: „Tauben, wieso Tauben? Hier gibt's doch eher Möwen!?“

ck/Foto: Nikolai Wolff

P.S.: Gewöhnlich enden Texte über Tauben aber mit einem anderen Zitat: „Hundescheiße“, sagt Julia M. aus Sebaldsbrück, „finde ich viel schlimmer.“

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