: Die Türkei als EU-Hilfspolizist
Bei großangelegten Razzien nimmt die türkische Polizei Hunderte von Flüchtlingen fest – und beschuldigt die PKK-Guerilla, die Fluchtbewegung zu organisieren ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Nachdem europäische Politiker die Türkei für die Flüchtlingsschiffe an der italienischen Küste verantwortlich gemacht hatten, bemüht sich der türkische Staat, Verläßlichkeit zu beweisen – durch die Suche nach Flüchtlingen, die die Türkei als Transitland auf dem Weg nach Europa nutzen. Gestern nahmen türkische Sicherheitskräfte 57 Personen – zumeist irakische Kurden – im griechisch-türkischen Grenzgebiet fest. In der Nacht zuvor waren bei großangelegten Razzien nahe dem Istanbuler Hafen 280 Personen – unter ihnen irakische Kurden, Pakistaner, Syrer und Afghanen – festgenommen worden. Um all die Aktivität auch gebührend zu dokumentieren, hatte die Polizei vorab private Fernsehsender eingeladen, die Razzien zu verfolgen.
In Istanbul wurden zwei halbverschrottete Schiffe, die „Selen“ und die „790“, auf der ägäischen Insel Bozcaada das Schiff „Abay Gür“ beschlagnahmt. Ermittlungen der Polizei zufolge wollten die Schlepperorganisationen diese Schiffe, die bereits Proviant für mehrere hundert Menschen geladen hatten, beim Transfer nach Italien einsetzten.
Bei Hausdurchsuchungen in mehreren Istanbuler Büros kam es zu Festnahmen. Getarnt als Reisevermittlung, wird hier der Menschenschmuggel organisiert. Rund 3.000 US-Dollar zahlen die Flüchtlinge den Schlepperorganisationen für die Überfahrt nach Europa. Ein Teil der polizeilichen Razzien beruht offenbar auf den Aussagen des festgenommenen Recep Kubak, Eigentümer des in Italien gestrandeten Flüchtlingsschiffes „Ararat“.
Am Montag hatte sich eine Kommission unter Vorsitz des türkischen Innenministers Murat Basesgioglu gebildet, an der das Außenministerium, der Geheimdienst, die Gendarmerie, die Polizei und der Küstenschutz beteiligt sind. Innenminister Basesgioglu, der von „Sklavenhandel“ sprach, wies die Beschuldigungen Europas an die Adresse der Türkei zurück. Die Schlepperorganisationen wirkten auch im Iran, im Libanon und in Syrien. Wenn „Wirtschaftsflüchtlingen“ in Europa politisches Asyl erteilt werde, erschwere das den Kampf gegen den Menschenhandel.
Türkische Politiker beschuldigen die illegale Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die Fluchtbewegung zu organisieren, um Finanzierungsquellen zu erschließen. Dafür allerdings konnte bislang kein einziger Nachweis erbracht werden – die Festgenommenen kommen aus dem Umfeld organisierter Kriminalität ohne politische Bindungen. Die PKK versucht zwar, anläßlich des Flüchtlingsdramas den politischen Konflikt in Kurdistan zu thematisieren, aber das läßt noch längst nicht auf Urheberschaft der PKK schließen.
Während die Türkei sich den Europäern als Hilfspolizist bei der Abwehr von Flüchtlingsströmen anbietet, will sie als Lohn dafür die Unterstützung der Europäer im Kampf gegen die PKK.
In Deutschland wird diese Forderung offene Türen einrennen. In einem Schreiben an den italienischen Außenminister Dini hob sein türkischer Amtskollege Ismail Cem die „Verdienste der Türkei bei der Verhinderung illegaler Migration“ hervor. Leider – so Cem – zeigten einige westeuropäische Staaten in ihren Reaktionen immer wieder Toleranz für Terroristen.
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