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Algerien verblutet, Europa berät

■ Nach neuen Massakern mit 200 Toten fordern europäische Länder und die USA lautstark eine internationale Untersuchung und erwägen Hilfe für die algerische Zivilbevölkerung. Bisher lehnt Algeriens Militärregierung das als „Einmischung“ ab

Madrid (taz) – In Algerien sind bei neuen Massakern rund 200 Menschen ermordet worden. Nach Angaben der Tageszeitung La Tribune überfiel in der Nacht zum Samstag ein Kommando der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) das Gebirgsdorf Meknassa. 117 Menschen, unter ihnen Frauen und Kleinkinder, seien grausam mit Äxten und Säbeln verstümmelt und anschließend enthauptet worden. Bereits zwei Nächte zuvor wurde nach Zeitungsberichten der nahe gelegene Weiler Had Chekala überfallen. Die gesamte Dorfbevölkerung – schätzungsweise 80 Menschen – sei dabei ermordet worden. Anschließend sei der Ort mit Brandbomben und Sprengsätzen dem Erdboden gleichgemacht worden.

Beide Orte liegen im westalgerischen Ouarsines-Gebirge, nahe dem Städtchen Relizane. Dort waren am 31. Dezember in einer einzigen Nacht über 400 Menschen ermordet worden. Nach Rundfunkberichten hat jetzt eine Massenflucht aus der Region eingesetzt. Die Menschen hätten ihre gesamte Habe zusammengepackt und flüchteten in großen Trecks in die Städte, wo sie Schutz vor weiteren Massakern suchten. In der ersten Woche des islamischen Fastenmonats Ramadan verloren inzwischen über 700 Menschen das Leben.

Nach dem neuen Massenmord wird die internationale Kritik an der algerischen Regierung erstmals deutlich. Der Sprecher des U.S. State Departements forderte am Montag abend eine internationale Untersuchungskommission und verlangte von der algerischen Regierung „mehr Schutz für die Zivilbevölkerung unter gleichzeitiger Respektierung der Rechtsstaatlichkeit“. Die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson will die Sonderberichterstatter für Folter und standrechtliche Hinrichtungen nach Algier schicken. Volkmar Deile, Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international, fordert im taz-Interview außerdem eine Sondersitzung der UN-Menschenrechtskommission. Experten der EU wollen morgen zum Thema Algerien beraten. Die Initiative dazu geht von Außenminister Klaus Kinkel aus. Kinkel will die EU-Troika nach Algier schicken, um Präsident Liamine Zéroual eine Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung anzubieten. Auch das französische Außenministerium übte erstmals heftige Kritik. Es sei die Pflicht der Regierung, für Frieden und Sicherheit zu sorgen.

Die EU will jetzt ein erstes Hilfsprogramm für die algerische Bevölkerung vorlegen. Algeriens Regierung weigert sich, internationale Untersuchungen zu akzeptieren, und fordert statt dessen vom Westen einen Asylstopp für Islamisten. Reiner Wandler Bericht und Interview Seite 2

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