: Alter schützt vor Straftat nicht
Rot-grüne Flüchtlingspolitik: Jugendliche werden zu Erwachsenen erklärt und dann wegen Falschbeurkundung bei der Polizei angezeigt ■ Von Elke Spanner
Das rot-grüne Klima ist kalt. Wer als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling nach Hamburg kommt, hat trotz anderslautender Aussagen im Koalitionsvertrag von SPD und GAL noch schlechtere Karten als bisher. Die seit einem Jahr zu beobachtende Tendenz der Ausländerbehörde, Jugendlichen das angegebene Alter nicht zu glauben und selbst ein fiktives Geburtsdatum festzusetzen, hat sich verstärkt. Neuerdings werden die Kids sogar bei der Polizei angezeigt. Der Vorwurf: Mittelbare Falschbeurkundung. Eine Straftat.
Für die Flüchtlinge hat es eine weitreichende Bedeutung, ob sie für 15 oder 16 gehalten werden. „An der Altersgrenze entscheidet sich die Frage, ob jemand Unterstützung bekommt oder sich allein auf der Welt zurechtfinden muß“, erklärt Werner Pieper, Leiter der Erstversorgungseinrichtung für minderjährige Flüchtlinge in Billstedt. Als minderjährig gilt im Asylrecht nämlich nur, wer unter 16 ist. Nur diese werden pädagogisch betreut, alle anderen werden wie Erwachsene behandelt. Das bedeutet vor allem, daß sie nicht automatisch in Hamburg bleiben können, wenn sie hier erstmals deutschen Boden betreten haben, sondern übers Bundesgebiet verteilt werden.
Zur Altersfeststellung trifft der Koalitionsvertrag zwischen SPD und GAL Aussagen. Habe die Ausländerbehörde Zweifel an der Altersangabe, so heißt es dort, muß sie dem Flüchtling auf dessen Verlangen die Möglichkeit einer ärztlichen Untersuchung zum Beweis des Gegenteils verschaffen. Dafür muß er aber überhaupt über diese Möglichkeit unterrichtet werden. Statt einer Liste mit ÄrztInnen holt die Ausländerbehörde jedoch neuerdings die Polizei, welche die Jugendlichen zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Erstattung einer Strafanzeige aufs Revier mitnimmt – nicht selten in Handschellen. Zudem, bestätigt Behördensprecher Norbert Smekal, müßten die Jugendlichen die ärztliche Untersuchung selbst bezahlen. Faktisch setzt die Ausländerbehörde damit einen Versuch durch, mit dem Hamburg auf politischer Ebene seit Jahren gescheitert ist.
Schon 1994 regte Hamburg auf der Innenministerkonferenz an, daß auch Unter-16jährige übers Bundesgebiet verteilt werden sollen. Denn die Kosten für deren Unterbringung sind höher als die für Erwachsene, und wegen des Hafens kommen überdurchschnittlich viele Flüchtlingskinder in Hamburg an. Alle Änderungsversuche sind jedoch im Sand verlaufen.
Jetzt schafft Hamburg Fakten. Tauchten in der Einreisestatistik bis Januar 1996 noch monatlich über 100 minderjährige Flüchtlinge auf, sind es inzwischen nur noch rund 20. Der Leiter der Billstedter Einrichtung, Werner Pieper, schätzt, daß bei rund 80 bis 160 Jugendlichen die Ausländerbehörde das Alter raufsetzt, so daß sie als Erwachsene gelten. Und dafür eine Strafanzeige kassieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen