: Ruinenlandschaft Uni-Bibliotheken
Fast ein Viertel der Abos wissenschaftlicher Zeitungen fallen an der FU weg. An der Humboldt-Uni gibt es viel zuwenig Leseplätze. Misere treibt Studenten in Massen in die Stabi. Dort soll es aber bald Eintritt kosten ■ Von Ralph Bollmann
Die StudentInnen nehmen es mit Sarkasmus. Daß die Fachbereichsbibliothek an der Freien Universität (FU) 200 Zeitschriften abbestellen mußte, kommentiert der angehende Volkswirt Alexander Schulze lapidar: „Dann fährt man halt stundenlang mit der U-Bahn in andere Bibliotheken, die Studienzeiten spielen ja keine Rolle.“
Im vergangenen Jahr mußten die Bibliothekare der Freien Universität (FU) mehr als 7.000 der damals noch gut 31.000 Abos wissenschaftlicher Zeitschriften kündigen. Dabei wird es aber nicht bleiben. Seit Christian Büttrich vor ein paar Wochen den Haushalt für 1998 gesehen hat, ist der Bibliotheksleiter der FU-Germanisten „noch deprimierter als sonst“. Er kann dieses Jahr nur noch ein Drittel des Geldes ausgeben, das ihm 1995 zur Verfügung stand. „Das geht wirklich an die Substanz“, klagt er, „die Grundversorgung der Studenten ist nicht mehr gewährleistet.“ Vor allem aber entsteht ein „bleibender Schaden“, weil die Lücken nachträglich nicht mehr zu schließen sind.
Sein Kollege bei den JuristInnen schreitet jeden Montag und Donnerstag um 15 Uhr zur „öffentlichen Kassenleerung“. Um Alarm zu schlagen, hat Ernst-Otto Schmeißer am Eingang zur Bibliothek für Zivil- und Strafrecht einen Feuermelder angebracht und oben mit einem Einfwurfschlitz für Münzen versehen. Durch die Glasscheibe läßt sich nun der aktuelle Spendenstand verfolgen. 4.896,47 Mark hat Schmeißer von Januar bis November letzten Jahres auf diese Weise eingenommen. Im Regal mit dem wichtigsten Strafrechtskommentar steht zwischen fünfzig zerlesenen Exemplaren älterer Auflagen jetzt deshalb fünfmal die neueste Ausgabe. Auf den Rücken der Bücher prangen Aufkleber: „Der Kauf dieses Buches wurde durch Benutzerspenden ermöglicht.“
„Eigentlich ist das ja eine öffentliche Einrichtung“, erregt sich Rechtsreferendar Klaus Bienmüller über die akademische Bettelei, „aber ohne Spenden säh's düster aus.“ Sehr weit kommt Bibliothekar Schmeißer mit dem Geld freilich nicht: 4.000 Mark im Jahr kostet allein der Bezug der wichtigsten Zeitschrift samt aller Spezialblätter, die sich im Laufe der Zeit von ihr abgespalten haben. Als Schmeißer sein Amt vor 25 Jahren angetreten hatte, war sie noch für 200 Mark zu haben.
Auch ohne Kürzungen bluten die Bibliotheken also aus. „Wir haben den gleichen Etat wie 1972“, rechnet Schmeißer vor, „aber die Bücherpreise haben sich verdreifacht, und wir haben heute doppelt so viele Studenten.“ Pro Kopf steht also nur noch ein Sechstel der Bücher bereit, obwohl die Zahl der Neuerscheinungen im gleichen Zeitraum explodierte. Außerdem leidet die Bibliothek an Raumnot. Wer „den Lesesaal länger als eine halbe Stunde verläßt“, warnen Aufkleber, muß seinen Arbeitsplatz räumen. Sonst kann er sich seine Habe „unter Erteilung eines Verweises“ bei der Aufsicht wieder abholen. Wer zwischendurch in die Mensa oder in eine Vorlesung geht, ist seinen Platz also sofort wieder los.
Noch drastischer stellt sich das Raumproblem am beengten Domizil der Humboldt-Universität in der Innenstadt. Der Fachbereich Geschichte kann seinen 2.500 Studenten gerade 60 Leseplätze bieten. Daß genug Geld für die Neuerscheinungen vorhanden ist, hilft den HumboldtianerInnen wenig. Nach 50 Jahren DDR klaffen bei westlicher Literatur große Lücken, die „Rückergänzung“ der Altbestände aber ist im Etat kaum eingeplant. Auch die Humboldt-HistorikerInnen haben inzwischen einen Förderverein gegründet. „Aber der Markt ist sehr eng geworden“, weiß Bibliothekarin Gisela Meister, „Fördervereine gibt' s jetzt überall.“
Ein Büchertempel freilich ragt bislang unbeschädigt aus der Ruinenlandschaft der Berliner Bibliotheken. Die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird nicht vom maroden Landeshaushalt getragen, sondern überwiegend vom Bund. Ihr Anschaffungsetat blieb bislang ungeschoren, der lichtdurchflutete Lesesaal am Kulturforum bietet eigentlich genügend Leseplätze. Eigentlich: Die Misere an den Unis treibt die Studenten zuhauf in die Staatsbibliothek. Zu Spitzenzeiten müssen sie auf dem Fußboden arbeiten. „Die Unis glauben, sich in der Stabi bedienen zu können“, klagt deren Generaldirektor Antonius Jammers, „aber unsere Aufgabe ist es nicht, Grundversorgung zu betreiben.“ Demnächst will Antonius Jammers sogar Eintrittsgeld für alle BenutzerInnen verlangen.
Den Schwarzen Peter hat er damit wieder den Unis zugeschoben. Doch die planen schon den nächsten bösen Streich: An der FU soll die Universitätsbibliothek künftig gar keine Bücher mehr anschaffen. Neue Literatur wird es dann nur noch an den Fachbereichen geben – wenn überhaupt.
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