: Der Streik ist nicht zuende, er ist anders
Mit dem Beginn des neuen Jahres sind die streikenden Studenten an deutschen Universitäten auf der Suche nach neuen Ideen. Mit einem Kongreß, der heute beginnt, will die FU Berlin sich an die Spitze setzen ■ Aus Berlin Christian Füller
Die Homepages der studentischen Streikbüros sind nicht mehr auf dem neuesten Stand. In den aktionsgeladenen Wochen vor Weihnachten waren sie das Informationsmittel schlechthin. Nun wackelt aus Heidelberg immer noch ein Nikolaus. Auf dem Rechner der Justus-Liebig-Universität, Gießen, wo die studentische Empörung ihren Anfang nahm, datiert der letzte Eintrag vom 20. Dezember. Fotos gelungener Aktionen flimmern über den Bildschirm.
Ist der Streik, der zwar eine halbe Million empörter Hochschulzöglinge auf die Straßen, aber keine konkreten Erfolge brachte, ist der UnIMut 1997 also zu Ende? „Fakt ist, daß die Politiker über uns lachen“, resümiert die Streikpostille Drucksache der Fachhochschule Darmstadt bitter. Die Politiker gingen nach dem Motto vor, „die Studenten werden schon wieder das Maul halten“. Der Internet-Aktivist fragt sich und seine KommilitonInnen: „Ist es nicht schön, als Idiot dazustehen?“ – und glaubt die Antwort zu wissen: „Wir sind viele und können denen da oben genügend Druck machen.“
Irgendwann Mitte Dezember hatten die studentischen Protestler die Verhandlungsmacht. 140.000 hatten an einem Tag in Bonn, Berlin, Düsseldorf, in Leipzig, München Kiel und anderswo demonstriert. So viele Studierende wie nie zuvor in der Republik. Die halbe Nation, Politik und Medien warteten gespannt: Was wollen sie denn nun, die gegen Bildungsklau, gegen den Uni-Umbau, gegen das Bonsai-Bafög aufstehen? – Aber es kam weder eine dröhnende Erklärung noch eine scharfe Analyse. Wir machen weiter, hieß es mehr oder weniger kleinlaut. Und mancher Studi-Funktionär winkte ab: Die 97er hätten es nicht drauf. Keine Organisation, keine Ziele, keine Medienerfahrung.
So disparat und überraschend sie 1997 endeten, haben die Studierenden 1998 begonnen. An der Uni Potsdam haben sie den Streik ausgesetzt, „aber die Aktionen gehen weiter“. Im Südwesten, an den Hochschulen Baden-Württembergs, läuft am 15. Januar ein an Wissenschaftsminister von Trotha gerichtetes Ultimatum ab. Am 24. Januar wollen sie in Heidelberg und Freiburg gegen das Landes- Hochschulgesetz demonstrieren.
Das Zentrum der Protestbewegung aber liegt nun in Berlin. Dort begannen die Feiern zum 50jährigen Jubiläum der Freien Universität (FU). Vor zehn Jahren war dieser FU-Festakt Startschuß für die große '88/'89er-UnIWut. Am Dienstag abend übten sich die Studis zunächst im Mundraub: Sie räumten das Buffet ab und unterbrachen immer wieder den Festvortrag des amerikanischen Botschafters John C. Kornblum.
1.200 FU-Studierende haben inzwischen auf einer Vollversammlung beschlossen, ihren Streik fortzusetzen. An der Humboldt-Uni begann gestern eine Urabstimmung. „Der Streik hat an Breite verloren“, faßt Axel Gebauer vom FU-Asta zusammen, „aber er gewinnt an Tiefe.“
Dafür steht der bundesweite Kongreß „Bildung und Gesellschaft“. Heute abend wird er eröffnet als „Anhaltspunkt dafür, daß es 1998 weitergeht“, sagt Patrick Berg, einer der OrganisatorInnen. 1.300 Anmeldungen sind schon da. Rund 2.000 Studis werden erwartet. Klare politische Ziele, sagt der 23jährige Soziologiestudent Berg ganz offen, „gibt's vorher nicht.“ Nur die eine: Bildung soll wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden: Die Krise der Schulen, der Niedergang der Hochschulen soll als Exempel dafür begriffen werden, wie die Gesellschaft geteilt wird. Zudem wollen sie mit den 68ern streiten. Die haben, etwa mit dem Ex-SDSler Bernd Rabehl, ihre Vertreter benannt. Die 98er, was Wunder, kennen ihre Diskutanten noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen