: JVA-Prozeß begann wild
■ Anwalt liefert sich lautstarke Wortgefechte mit Richter und Staatsanwalt
Der erste Prozeßtag in dem Strafverfahren gegen die Justizvollzugsbeamtin Sandra B. und vier Häftlinge ist gestern vor dem Amtsgericht geplatzt. Das lag allerdings nicht am Gericht, sondern an einem Verteidiger, der sich lautstarke Wortgefechte mit dem Richter und dem Staatsanwalt lieferte. Pünktlich um neun Uhr eröffnete der Vorsitzende Richter Rahtke die Sitzung. Die JVA-Beamtin, die zwischenzeitlich vom Dienst sus-pendiert worden ist, steht wegen Körperverletzung im Amt vor Gericht. Sie soll die vier Häftlinge dazu angestiftet haben, fünf Insassen, die wegen Sexualdelikten in Untersuchungshaft saßen, zu verprügeln.
Doch bevor Staatsanwalt Uwe Picard die Anklageschrift verlesen kann, meldet sich Rechtsanwalt Wilfried Behrendt zu Wort. Er will einen der angeklagten Häftlinge verteidigen, und zwar als Pflichtverteidiger. Neben dem Angeklagten sitzt allerdings schon ein Anwalt, der als Pflichtverteidiger beigeordnet ist. Auch der Angeklagte will von Behrendt verteidigt werden. Doch darüber, ob er dies auch früh genug gegenüber dem Staatsanwalt geäußert hat, entbrennt im Gerichtssaal binnen weniger Minuten ein lautstarker Streit. „Sie wollen hier nur einen Verteidiger aus dem Verkehr ziehen, der Ihnen nicht genehm ist“, herrscht Behrendt den Richter an. Er werde auch die „politische Dimension“problematisieren, kündigt Behrendt an. „Sie sind dafür bekannt, daß Sie andere gerne rausdrängen“, gibt Rathke ruhig zurück. „Ich laufe nicht hinter diesem Mandat her, ich will ihn nur nicht hängen lassen“, sagt Behrendt und wirft seinem Mandanten einen Seitenblick zu. „Ich vertrete Herrn H. schon seit Jahren“, fügt er hinzu und fuchtelt wild mit den Armen. „Ihr Auftritt ist ja nicht auszuhalten“, schaltet sich Picard ein. „Ach Sie, Sie können durchsuchen, bei irgendwelchen Verlagen“, schreit Behrendt. Ein Schöffe schüttelt den Kopf. Einige Zuschauer halten sich die Hand vor den Mund, um sich das Lachen zu verkneifen. „Diese Diskussion ist unwürdig“, meldet sich der unerwünschte Pflichtverteidiger zu Wort. Er sehe keinen Grund, warum er den Angeklagten nicht verteidigen solle. Nachdem der Angeklagte ihm gesagt habe, daß er lieber von Rechtsanwalt Behrendt verteidigt werden wolle, habe er Behrendt sofort informiert. Behrendt habe sich aber monatelang nicht gemeldet. Daß sich Behrendt tatsächlich erst Mitte Oktober gemeldet hat, ergibt sich auch aus der Gerichtsakte. „Mein Mandant sagt mir gerade, daß er schon bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung darauf hingewiesen hat, daß er von mir verteidigt werden will“, erwidert Behrendt. Ob es darüber einen Vermerk in der Gerichtsakte gebe, will der Anwalt wissen. Es gebe keinen Vermerk, antwortet Picard. Er könne sich auch nicht daran erinnern, daß der Angeklagte ihm gegenüber den Wunsch geäußert hat, von Behrendt verteidigt zu werden. Das will Behrendt nicht hinnehmen. Ein Staatsanwalt, der es „mit der Wahrheit nicht so genau nimmt“, müsse „abgelöst“werden, empört er sich. Er legt Beschwerde gegen den Beschluß über die Beiordnung des anderen Pflichtverteidigers ein. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Die Verhandlung wird unterbrochen. Nach einer Stunde verkündet das Gericht, daß es der Beschwerde nicht abhelfen wird. Jetzt muß das Landgericht darüber entscheiden, welcher Anwalt den Angeklagten verteidigen darf. Mittlerweile ist es kurz nach elf Uhr. Für die geplante Ortsbesichtigung in der Justizvollzugsanstalt ist es mittlerweile zu spät. Gegen einen der vier angeklagten Häftlinge, der nicht erschienen ist, wird Haftbefehl erlassen. Unverrichteter Dinge verlassen die Prozeßbeteiligten den Gerichtssaal. Ein Zuschauer murrt: „Auch eine Art, seinen Mandanten zu verteidigen.“ kes
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