: Kunst im Sack
Jenseits von Haß und Liebe: Yoko Ono im Zeitalter ihrer künstlerischen Wiederentdeckbarkeit – als Musikerin, als Politaktivistin, als Erfinderin des „Bagism“ ■ Von Jörg Heiser
Vor fast dreißig Jahren begann für Yoko Ono das zweifelhafte Vergnügen, von Millionen von Beatles-Fans für eine Hexe gehalten zu werden. Die Hexe, die die Fab Four auseinanderbrachte. Die Hexe, die sich Lennon unter den Nagel riß. John Lennon, der doch allen gehörte mit seinem freundlichen Rebellencharme und seinen wunderschönen Songs.
Allen, für die Yoko Ono immer noch nichts anderes ist als die Persona non grata der Beatles-Geschichte, wird es aber zunehmend schwergemacht, es nicht besser zu wissen. Schon länger gibt es eine subkulturell eingeleitete Komplettaufwertung der Musikerin Ono, ganz nach dem Umkehrschluß: Wer soviel Haß bei jüngeren Angepaßten und älteren Spießern weckt, muß 100 Prozent Punk sein. Und wenn Thurston Moore von Sonic Youth oder Ween sich an Remixe für das 96er Album „Rising“ gemacht haben, dann sicher mit einer incredible strange Yoko Ono in Gedanken, die markerschütternd schreit und radikale Hippie-Katzenmusik macht, mit der man Hippie-Rockisten aus der Fassung bringen kann.
Aber das war vielleicht auch nur ein Schritt, ein notwendiger Fehler in der Rezeptionsgeschichte. Mit der Wiederveröffentlichung der elf Ono-Platten von „Unfinished Music No. 1/Two Virgins“ (1968) bis „Starpeace“ (1985) wird jedenfalls deutlich, daß da schon immer mehr dran war als bloß das. Um so mehr, als die Kunst Yoko Onos – gutes Timing – ebenfalls aus den Archiven drängt. Ihr ist eine Retrospektive im Museum of Modern Art in Oxford gewidmet (noch bis 15. März), die anschließend nach Edinburgh und Ende des Jahres nach München wandern wird. Und in seinem jüngst erschienenen Buch über die Beziehung zwischen John Lennon und Yoko Ono versucht auch der Engländer James Woodall, ihr als Künstlerin gerecht zu werden.
Nicht daß die weltbekannteste Japanerin erst in einem Alter, in dem andere in Pension gehen – sie wird am 18. Februar 65 Jahre alt–, erfahren würde, daß es auch noch was anderes gibt als die übliche sensationalistisch vernebelte Wahrnehmung ihrer öffentlichen Person. Anfang der sechziger Jahre zog sie die Aufmerksamkeit der New Yorker Avantgarde- Szene auf sich: die klassisch geschulte Sängerin aus einer Tokioter Bankiersfamilie, die sich mit Dolmetscherjobs über Wasser hielt, wenn sie nicht gerade in ihrem Loft mit Minimal-Music-Pionier La Monte Young Konzerte veranstaltete oder mit John Cage in Japan auftrat.
Mit ihren Performances im Umfeld der neodadaistischen Künstlergruppe Fluxus erlangte sie schon eine gewisse Berühmtheit, vor allem während ihrer Londoner Zeit Mitte der sechziger Jahre, als die englische Tagespresse ihr noch vor der Zeit mit Lennon den Titel „Hohepriesterin des Happening“ verpaßte. Aufsehen hatte zum Beispiel die Performance „Cut Piece“ erregt, bei der Ono sich auf eine Bühne setzte und die Zuschauer aufforderte, mit einer Schere Stücke von ihrer Kleidung abzuschneiden. Oder ihre Erfindung „Bagism“, 1962 in Tokio uraufgeführt und die sechziger Jahre hindurch immer wieder variiert: eine Performance, bei der Yoko Ono und ein Partner mit einem großen schwarzen Sack den Raum betreten, in den Sack hineinkriechen, beide sich ausziehen, wieder anziehen, herauskriechen und weggehen. Die allgemeine Annahme des Publikums war natürlich, daß etwas Sexuelles in dem Sack stattfand.
In der Oxforder Ausstellung sind aus dieser Zeit wichtige Arbeiten wie „Half A Room“ zu sehen: die Einrichtungsgegenstände eines Zimmers mit Bett, Radio, Regal, Nachtschränkchen, Schuhen usw. sind in der Hälfte durchtrennt und weiß angestrichen. Oder die Exponate aus der Ausstellung in der Indica Gallery, in der Ono und Lennon sich 1966 zum ersten Mal begegnen würden: jene verwirklichten konzeptuellen Gedanken-Kunstwerke wie „Apple“ (eben das: ein „echter“ Apfel auf einem Podest) oder „Ceiling Painting“: ein Bild hängt an der Decke, auf dem winzig klein das Wort „Yes“ steht, nur lesbar, wenn man die darunterstehende Leiter besteigt und durch ein Vergrößerungsglas schaut.
Diese Arbeiten fordern durch ihre tautologische Einfachheit aus jener Reserve, in der man sich schon zuvor befand: entweder man fühlt sich gegängelt durch Anweisungen – schlage einen Nagel in ein Bild, steige auf eine Leiter (in Oxford wird allerdings freundlich darum gebeten, die historischen Stücke nicht zu berühren) – oder versteht das als eine gerade wieder unhierarchische Einladung, aus scheinbar rein gedanklichen Konstruktionen in die körperliche Selbstwahrnehmung zurückzukehren.
Die konzeptuellen, zum Teil spirituell durchwehten Skulpturen und Installationen sind schon am richtigen Ort in einer Ono-Retrospektive. Die Rezeption in der Kunstwelt neigt aber dazu, sie völlig in den Vordergrund zu stellen: Hier gibt es keine direkte Beteiligung des Popstars John Lennon, mit dem Ono viele ihrer Performances in der medialen Öffentlichkeit neu inszenierte, ein paar ihrer besten Filme verwirklichte und eben zwischen 1968 und 1980 immer wieder Musik aufnahm.
Kopf durch Wand, Schere durch Anzug
Es ist zwar richtig, Onos künstlerische Unabhängigkeit vom Beatles-Universum zu betonen. Aber andererseits wäre es für die Oxforder Ausstellung eine Chance gewesen, ihre Beziehung zu Lennon einmal nicht nur den überwiegend sensationsgierigen Lennon-Biographen zu überlassen, sondern eben gerade als künstlerische Produktionsbeziehung ernst zu nehmen. Da ist nicht nur ein durchgeknalltes Hippie-Prominentenpaar: 1969 kommen Ono und Lennon nach Wien, zur Erstausstahlung ihres Films „Rape“ im ORF, bei dem es um eine Frau geht, die von einem Kameramann unentwegt verfolgt wird. Die Pressekonferenz im Hotel Sacher verbringen Lennon und Ono in einem weißen Sack, was dazu führt, daß es hauptsächlich um die Frage geht, ob die beiden wirklich da drin sind und nicht doch jemand anderes (sie werden aufgefordert, sich durch Singen zu identifizieren). Am nächsten Tag sind in der Zeitung Bilder von Reportern zu sehen, die ihre Mikrophone vor einen Sack halten.
Nichts hätte besser zeigen können, wie sehr Onos „Bagism“, wie sehr der schlichte Sack die Vorstellungen von körperlicher Präsenz und zugeordneter Identität durcheinanderbringt. „Rape“ und die „Bagism“-Aktionen oder auch „Cut Piece“: All das sind deutliche, frühe Statements zu Privatheit und Öffentlichkeit, Geschlecht und Gewalt (die im Rahmen der Oxforder Ausstellung leider nur unter ferner liefen auftauchen). Sie haben etwas Übergangsloses, Nichtgleitendes, Durchbrechendes: keine Vermittlung, sondern mit dem Kopf durch die Wand, mit der Schere durch den Anzug, mit der Kamera verfolgt, mit dem Körper in den Sack.
Ein Zug, der sich auch in Onos einzigartigem Gesangsstil wiederfindet. Aus dem Kunstlied-Gesang mitten hinein in ein alltöniges, gutturales Scatten, Chattern, orkanartiges Krächzen und Schreien, das in sich dann allerdings wieder geschmeidige Übergänge kennt: wie auf dem 22-minütigen Titelstück der 71er Doppel-LP „Fly“, wo sich bruchlos Hund, Katze, ein wie eine Sirene heulendes Kleinkind und dann wieder kabukihafter Singsang ineinander verwandeln. Um die gleich Zeit stellte Tim Buckley mit seiner Stimme Verwandtes an, aber bei Ono findet sich der direkte Vergleich mit Free Jazzer Ornette Coleman, und zwar auf der überhaupt großartigen „Yoko Ono/Plastic Ono Band“ (1970), in dem siebenminütigen „AOS“, der 68er Aufnahme von einer gemeinsamen Session mit ihm, Charlie Haden, Ed Blackwell und David Izenzon. Auf Anhieb wird klar, daß Onos Stimme die vakante Stelle des „freien“ Saxophons einnimmt und dabei nichts vermissen läßt.
Den Kindheits-Ursprungsmythos ihres Singens hat Ono mehrfach in Interviews geschildert: als Vierjährige habe sie sich im Haus ihrer Eltern zum ihr verbotenen Ort, der Kammer der Diener, geschlichen, wo diese über Geburt sprachen und jaulend eine Frau in den Wehen nachahmten. Diesen Sound habe sie seitdem immer wieder neu beleben wollen und zunehmend moduliert. In der vielleicht unbewußten, aber überhaupt nicht „authentisch-animalischen“ Vorsprachlichkeit ihres Gesangs läßt sich also vielleicht auch ein ziemlich energiegeladener Versuch erkennen, mit dem Kehlkopf durch Klassenwände zu brechen. Wobei zugleich klar bleibt, daß dieser Durchbruchsversuch vom auch in den sechziger Jahren immer noch seltenen Ort weiblichen, großbürgerlich „freien“ Künstlertums ausgegangen ist. (Eine der wenigen damaligen Parallelen vielleicht: Nikki de Saint-Phalle und ihre Schieß-Gemälde).
Wie Yoko Onos Gesang hatten auch die Performances und Filme immer etwas von einfachen, effektvollen Transgressionen, die aber über bloßen Tabubruch hinausgehen – und je nachdem, wie stark das im Moment des Zuhörens/Zuschauens mitempfunden werden kann oder genau nicht, kommt das als tief berührend oder unglaublich nervend an.
Kunst verschmäht Pop, Pop ignoriert Kunst
So gesehen hat die Produktionsbeziehung zu John Lennon etwas von einem helfenden Handel: Lennon ermöglicht Ono den Eintritt ihrer Publikumsherausforderungen in den Lichtkegel der Medien, Ono Lennon die weltweit übertragene Wandlung vom begehrten Objekt der Popfans zum symbolisch handelnden, politischen Künstlersubjekt. Und dann saßen beide wieder im Hotelbett in Toronto und sangen vor der Presse zusammen mit LSD-Guru Timothy Leary, Popsängerin Petula Clark und fünfzig weiteren „Give Peace A Chance“.
James Woodall liefert in seinem Buch viele aufschlußreiche Details über diese und andere Aktionen des Paares John Lennon/Yoko Ono, und es ist ihm hoch anzurechnen, daß er nicht der Versuchung erliegt, die alten Klischees neu aufzukochen. Er belegt zum Beispiel schlüssig, daß viele Faktoren zur Auflösung der Beatles beitrugen und Yoko Ono zwar einer dieser Faktoren gewesen sein mag, sie aber keine persönliche Verantwortung trägt. Aber man merkt seinem Buch auch an, daß er sich nicht wirklich mit Yoko Onos Kunst auseinandergesetzt hat – so berichtet er etwa, daß der Film „Erection“ John Lennons Steifen zeige: in Wirklichkeit spielt der Film mit dem Titel nur auf diese voyeuristisch-gerüchtegierige Erwartung an und zeigt statt dessen die Errichtung eines Bürogebäudes im Zeitraffer.
Rezeptionslücken, die sich mit jeder Retrospektive einfacher schließen lassen, aber immer noch läßt sich die Kunstwelt zu wenig auf Onos Rolle im Popkontext ein – die Popwelt weiß kaum etwas über ihre Kunst. Dabei hat Ono einiges dafür getan, manchmal sicher auch aus Gründen des ×uvre-Designs, Querverbindungen herzustellen: „Fly“ heißt nicht nur die Platte, sondern auch ein Film, in dem die Kamera einer Fliege folgt, die auf einer liegenden Frau herumfliegt; auf „Approximately Infinite Universe“ gibt es den kurzen Song „Have You Seen The Horizon Lately“, den Ono nun zum Titel ihrer Oxforder Ausstellung machte.
Diese beiden Doppelalben bilden zusammen mit „Yoko Ono/ Plastic Ono Band“ die musikalisch freieste, konsequenteste Phase zwischen 1970 und 1972 ab. Darauf folgten mit „Feeling The Space“ (1973) und der bisher unveröffentlichten „a story“ (1974) irgendwie feierliche, wenn auch musikalisch nur stellenweise überzeugende Versuche, eingängigen Feminismus-Agitprop zu machen.
Auf „Yes, I'm a witch“ singt Yoko Ono 1974: ich werde nicht für euch sterben, ich werde noch eine ganze Weile dableiben. Sie hat recht behalten.
Ausstellung „Have You Seen The Horizon lately“ im Museum of Modern Art Oxford bis zum 15. März.
Die elf CDs von Yoko Ono sind bei Rykodisc/RTD erschienen.
James Woodall: „John Lennon und Yoko Ono. Zwei Rebellen – eine Poplegende“ (Rowohlt Berlin, 34 DM)
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