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Heimlich in der Heimatstadt

Tausenden in Jerusalem geborenen Palästinensern droht der Entzug ihres Ausweises samt Aufenthaltsgenehmigung in der Stadt. Wer in Jerusalem leben und arbeiten will, ist von der Gnade des israelischen Innenministeriums abhängig  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Seit fast eineinhalb Jahren lebt Farid illegal in Jerusalem. Eine unerwartete Ausweiskontrolle und ihm drohen Verhaftung und Deportation. Nur selten verläßt er deshalb das kleine, einstöckige Haus seines Vaters in Ras al-Amud im arabischen Ostjerusalem. Sechs seiner sieben Kinder und seine Frau Helweh wohnen hier auf engstem Raum, in einer Küche, einem Wohn- und einem Schlafzimmer.

30 Meter vom Haus entfernt blickt Farid Tag für Tag auf die Ruinen des Hauses, das er selbst nach seiner Hochzeit 1978 gebaut hat. Es wurde von israelischen Bulldozern zerstört, wegen fehlender Baugenehmigung. Nur Teile der Außenmauern stehen noch, im Inneren liegen Plastikrohre für die Elektroinstallationen. Unmittelbar davor endet die staubige Straße, die den steilen Hügel am Südrand Jerusalems hinunterführt. Daneben eine Grube, die als Müllabladeplatz dient. Ein Feigenbaum auf der Wiese vor dem väterlichen Haus und eine Hollywoodschaukel auf der kleinen Veranda sind die Schmuckstücke des bescheidenen Anwesens.

Farid ist 1957 in Jerusalem geboren. Die ersten zehn Lebensjahre hat er hier verbracht, bis zum Krieg im Sommer 1967. Dann floh er mit Angehörigen nach Jordanien und kehrte erst nach zehn Jahren wieder zurück, um seine Cousine zu heiraten. Geld verdienen konnte er nur in Jordanien, wo er als Manager in einer Schokoladenfabrik arbeitete. Seine Frau, im Besitz eines israelischen Ausweises, pendelte zwischen Amman und Jerusalem. 1994, als nach dem Oslo- Abkommen erstmals auch palästinensische Frauen einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen konnten, hat Farid seinen Job in Amman aufgegeben, um mit seiner Familie im heimatlichen Jerusalem zu leben.

Dreimal erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate, schließlich sogar eine Arbeitserlaubnis. Doch nach Amtsantritt der Netanjahu-Regierung wurde seine Aufenthaltsgenehmigung nicht noch einmal verlängert, die Familienzusammenführung schlicht verweigert. Im August vergangenen Jahres erhielt Farid die schriftliche Aufforderung, das Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen, obwohl inzwischen Haus und Landbesitz seines Vaters auf seinen Namen eingetragen worden waren. Während seine erste Tochter und sein ältester Sohn eine eigene Ausweisnummer bekamen, die sie berechtigt, auch nach dem 16. Lebensjahr in Jerusalem zu bleiben, wurde den anderen Kindern diese Registrierung verwehrt. Wenn sie also 16 Jahre alt werden, halten auch sie sich nach israelischem Recht illegal in Jerusalem auf. Selbst seine Frau, berichtet Farid, sei vom Innenministerium aufgefordert worden, ihre israelische Ausweiskarte abzugeben.

Farid hat beim obersten israelischen Gerichtshof Widerspruch eingelegt. Noch gibt es keinen Termin für ein Gerichtsverfahren, doch besonders optimistisch ist er nicht: „Ein ähnlich gelagerter Fall von Familienzusammenführung wurde vor kurzen abgelehnt“, sagt Farid. Sein Anwalt habe ihm geraten, abzuwarten, da die ganze Angelegenheit politisch sei. US-Außenministerin Madeleine Albright hatte bei ihrem ersten Besuch in der Region im Oktober 1997 die Konfiszierung der Ausweise palästinensischer Jerusalemer kritisiert.

Selbst der Chefredakteur der regierungsnahen Tageszeitung Jerusalem Post prangerte die Unmenschlichkeit des behörlichen Vorgehens an. Wenn diese Gesetze in derselben Weise auf Juden angewendet würden, so die Zeitung, müßte selbst Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Aufenthaltsberechtigung entzogen werden. Denn er hat länger als sieben Jahre in den USA gelebt. Generell haben Gerichtsverfahren aber wenig Aussicht auf Erfolg: Das Innenministerium argumentiert, die Aufenthaltsgenehmigung sei laut Gesetz abgelaufen und eine Anhörung des Betroffenen deswegen nicht erforderlich.

Die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem hat mehrere solcher Fälle dokumentiert, wie den von Mardus Sajayan, einem Hotelmanager. Er wurde 1958 in Jerusalem geboren. Von 1982 bis 1988 arbeitete er dort im Nôtre-Dame-Hotel, verlor aber schließlich seine Arbeit. Er zog nach Australien, kehrte aber alle zwei Jahre mit seiner Familie zurück, um die Einreiseerlaubnis nach Israel erneuern zu lassen. Im August vergangenen Jahres forderte die Grenzpolizei ihn auf, seinen Ausweis zu erneuern. Er tat dies und brachte wie gefordert seine Wasser- und Elektrizitätsrechnung und die in Israel erforderliche Rechnung über die Zahlung von Kommunalsteuern mit, um zu belegen, daß er wieder in Jerusalem lebte. Doch ein neuer Ausweis wurde ihm mit dem Argument verwehrt, daß seine Kinder zwischen 1990 und 1995 keine Jerusalemer Schule besucht hätten. 15 Tage räumte das Innenministerium der Familie ein, um die Stadt zu verlassen.

Kamil Kimri hat in Baku studiert und 1996 einen Doktorhut in Rechtswissenschaft erworben. Als Student hat er seine Reisedokumente stets in der israelischen Botschaft verlängern lassen. Im September vergangenen Jahres ist er mit seiner aserbaidschanischen Frau und zwei Kindern nach Israel zurückgekehrt. Die Familie lebt im Flüchtlingslager Schufat im Hause des arabischen Vaters. Im Dezember 1996 wurde sein Ausweis eingezogen mit dem Argument, daß er einen neuen benötige. Im Februar 1997 wurde ihm mitgeteilt, daß seine Daten im Computer gelöscht seien und es daher unmöglich sei, ihm einen neuen Ausweis auszustellen — obwohl seine gesamte Familie väterlicherseits in Jerusalem lebt. Morgens fährt Kamil Kimri zur Arbeit, und am Spätnachmittag kehrt er wieder zu seinem Haus zurück. Mehr erlaubt er sich nicht, um nicht in eine israelische Polizeikontrolle zu geraten.

Der Entzug Jerusalemer Ausweise ist nach Angaben von Betselem in den vergangenen zwei Jahren mit der Absicht intensiviert worden, im Vorfeld der abschließenden Abzugsverhandlungen die Zahl der palästinensischen Einwohner Jerusalems zu reduzieren. Asmi Abu Saud, verantwortlich für die rund 2.000 Beschwerden von Palästinensern, denen bislang der Entzug des Ausweises angedroht wurde, beschreibt den Vorgang als eine Form „ethnischer Säuberung“. Betselem spricht von einer „stillen Deportation“. Mindestens 600 Personen wurden nach Angaben des israelischen Innenministeriums bislang die Ausweiskarten entzogen; Tausende, wenn nicht Zehntausende sind davon bedroht.

Immer mehr Palästinenser, die über eine israelische Ausweiskarte für Jerusalem verfügen, kehren indes aus dem Westjordanland zurück. Die palästinensische Einwohnerschaft der Altstadt von Jerusalem ist in den vergangenen zwei Jahren von 25.000 auf 40.000 gestiegen, sagt Abu Saud. Und im Flüchtlingslager Schufat hat sich die Bevölkerung in den vergangenen drei Jahren nach Angaben einer israelischen Wochenzeitung glattweg verdoppelt. Seit 1991 kontrolliert Israel die Zugänge nach Jerusalem; deshalb ist es für Palästinenser ein wirtschaftlicher und politischer Vorteil, in Ostjerusalem zu wohnen und einen israelischen Ausweis zu besitzen. So können sie sich frei bewegen und in Israel arbeiten.

Jüdische Siedler im Westjordanland oder im Gaza-Streifen, die sich juristisch ebenfalls in fremdem Land aufhalten, sind von diesen Bestimmungen natürlich nicht betroffen. Und Israelis dürfen sich selbstverständlich so lange im Ausland aufhalten, wie sie wollen. Palästinenser jedoch, die in Jerusalem geboren wurden, sind von der Gnade des israelischen Innenministeriums abhängig.

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