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Beckstein liberal

■ Bayerns Innenminister fiel in Nürnberg durch tolerante rechtspolitische Positionen auf

Nürnberg (taz) – Hat die „friedliche Zeit“ um Weihnachten Bayerns Innenminister Günther Beckstein auf den Magen geschlagen, oder hat gar der SPD-Rechtsexperte Otto Schily bei seinen nächtlichen Verhandlungen um den Großen Lauschangriff den bayerischen Hardliner Beckstein so ganz nebenbei gezähmt? Oder lag es daran, daß Bayerns Innenminister in seiner Heimatstadt Nürnberg über die Entwicklung der Jugend- und Ausländerkriminalität referierte? Denn Nürnberg gilt aufgrund seiner Aufklärungsquote von über 65 Prozent als „Deutschlands sicherste Großstadt“,

Sicher ist: In Becksteins Nürnberger Referat war plötzlich keine Rede mehr von „Nulltoleranz“, die „Verhältnismäßigkeit“ sei dagegen „oberstes Gebot“. Keine Rede mehr von einer unbedingten Senkung der Altersgrenze beim Familiennachzug ausländischer Kinder auf zehn Jahre. Statt dessen müßte man sich einen solchen Schritt erst bei einem Fortschreiten der „negativen Kriminalitätsentwicklung überlegen“ und von den Deutschkenntnissen der Jugendlichen abhängig machen. Auch keine Rede mehr von einer konsequenten Verfolgung jedes Bagatelldelikts. Zu früheren Zeiten habe man „mal einen Apfel geklaut“, heute sei es „ein Videospiel“, nimmt Beckstein die sonst als „jugendliche Ersttäter“ gescholtenen Kids augenzwinkernd in Schutz. Diese lebten eben „noch nicht in sozial gebändigten Beziehungen“. Und New York als Vorbild? Niemals, wo doch die US-Metropole eine etwa zehnmal so hohe Kriminalitätsbelastung wie Nürnberg aufweise.

Beckstein nun vollständig liberalisiert? Wohl kaum. Vielleicht sieht der Minister derzeit einiges nicht mehr so eng, weil er sich lieber im Erfolg sonnt. So konnte er sich beim Großen Lauschangriff weitgehend durchsetzen, Innenminister Kanther schwärmte von den „bayerischen Sicherheitsstandards“, und Österreich, Sachsen sowie Thüringen führen nach bayerischem Vorbild nun die verdachtsunabhängige Schleierfahndung ein. Bernd Siegler

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