■ Im Dresdner Hygiene-Museum zeigt die Schau „Alt & Jung. Das Abenteuer der Generationen“ Lebensentwürfe jenseits des Generationenschemas Von Harry Nutt
: Die Generation Golf

Es gibt kein Lebensalter, in dem der eigene Lebensraum nicht als dynamisches Aktionszentrum erfahren werden kann, aber auch muß. Selbst 80jährige trauen sich noch Neues zu. Für Langeweile ist inzwischen jeder und jede selbst verantwortlich, ob jung oder alt.

Die Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum zu besuchen verlangt zunächst eine Entscheidung in eigener Sache. Gleich hinter dem Eingang, am Drehkreuz, wird gefragt: „Wie alt bin ich?“ Eine Selbsteinordnung ist gefordert, eine, bei der sich immer mehr Alte jünger machen, als sie biologisch sind: Jeder ist seines Alters Schmied.

Die Pathosformel der individualisierten Gesellschaft – wählen zu können, aber auch wählen zu müssen – erstreckt sich längst nicht mehr nur auf soziale Handlungen und Beziehungen, sondern insbesondere auch auf den eigenen Seelenzustand und Körper. Der Wille und der Zwang zur Selbstbestimmung zielt auf ein intensives Erfahren der eigenen Lebenszeit: Man ist so alt, wie man sich fühlt.

Das gilt für die Alten nicht weniger wie für die Jungen. Wer in jungen Jahren Sport getrieben hat, der hat am eigenen Leib erfahren, daß es ab Mitte Zwanzig mit der körperlichen Leistungsfähigkeit bergab geht. Bald danach spürt man die ersten Zipperlein. Der erste Hexenschuß wird kaum weniger einschneidend erfahren als der erste Geschlechtsverkehr. Vielleicht ist der früh erfahrene körperliche Niedergang ja der geheime Grund für den enormen Drang zum Körperkult, dem mittlere Angestellte ebenso anhängen wie bestimmte Szenen des Prolomilieus.

Die Zeiten haben sich ja wirklich während der vergangenen 50 Jahre kraß geändert. Für seine Langeweile ist inzwischen jeder selbst verantwortlich, ob nun jung oder alt. Es gibt kein Lebensalter, in dem der eigene Lebensraum nicht als dynamisches Aktionszentrum erfahren werden kann, aber auch muß – um nicht als Alter stigmatisiert zu werden. Die Dynamisierung des Altseins zwischen 45 und 90 ist freilich nicht bloß die Sache des einzelnen. Die gesellschaftlichen Institutionen befördern es, wo sie können. Selbst in Krankenhäusern, in denen früher die nach Stürzen eingelieferten Patienten mit Oberschenkelhalsbruch ernsthaft in Lebensgefahr gerieten, wird für die Genesenden bald nach der Operation ein aufwendiges Rehabilitationsprogramm eingeleitet.

Bloß keine Atempause. Ein Heer von Krankengymnasten treibt den Hinfälligen oder den, der nur hingefallen ist, ins Bewegungsbad und auf den Hometrainer. Bedeutete Krankheit im Alter oft den Beginn des Siechtums, so geht ein Alter heute wie ein Spitzensportler in die Klinik, der sich als kerngesunder Mensch an Meniskus und Patellasehne reparieren läßt. Motto: wird schon wieder.

Die Idee vom behaglichen Altern, die John Lennon und Paul McCartney einst in ihrem Lied „When I'm 64“ besungen haben, mutet heutigen Pensionären lächerlich an. Frauen stricken nicht am Kamin („Knit a sweater by the fireside“), sie gehen ins Fitneßcenter und haben Wochenendtermine auf der Beautyfarm. Und das ist keineswegs mehr nur eine Marotte schrulliger Witwen mit gefülltem Bankkonto oder einer von Werbung und Mode erzeugten Verheißung von jugendlichem Glück geschuldet.

An erotischer Ausstrahlung überragen Tina Turner, Uschi Glas und Domenica noch immer die meisten Playmates des Monats – sie sind längst auch Rollenvorbilder der meisten Frauen, die keine Teenies mehr sind. Erotik, signalisieren die alten Stars, heißt nicht mehr nur schuldhaftes Hinschauen, sondern immer auch schon Kommunikation. Man muß mit dem oder der auch reden können. Selbst in den einschlägigen Gazetten der Pornoindustrie haben es bislang einzig ältere Frauen zu persönlichem Ruhm gebracht – und im Falle Teresa Orlowskis auch zu einer eigenen Leserbriefseite im Fanzine.

Auf ironische Weise bewahrheitet sich selbst hier, wo der junge Körper die ganze Idee ausmacht, daß die menschliche Blütezeit erst von einem bestimmten Alter an einsetzt: Zur Ikone des Sex werden Männer und Frauen nicht schon mit 19. Die Attraktivitätsskala eines männlichen Vierzigjährigen reicht heute nicht selten bis weit in die Fünziger hinein.

Sex und Sport sind weniger denn je seit den letzten hundert Jahren ein Privileg Jugendlicher. Die Turnschuhsenioren bestimmen statt dessen die Szene. Ein Politiker wie Joschka Fischer, inzwischen Anfang Fünfzig, wirkt immer noch aufbrüchiger als die meisten Jugendlichen in den zwanziger Jahren. Vorbei die Zeit, als Minister wie der Grüne aus Hessen mit ebensolchem Schuhwerk als Ausdruck der Jugendlichkeit im Parlament vereidigt wurden: Nike-Oldies wie er gehen ihren Weg.

Das ist allerdings nicht mehr mühelos zu haben. Nach überstandenem Match auf dem Court gestattet man sich Knieschmerzen allenfalls in den eigenen vier Wänden. Die meisten alten Männer jedenfalls haben keine Zeit, die Sicherungen auszuwechseln („I'll could be handy mending a fuse“), wie es im Beatles-Song heißt. Sie haben allerhand damit zu tun, den Kontakt zur Macht zu halten und den erworbenen oder ererbten Reichtum unter die Leute zu bringen.

Die Woopies („Well off older people“), die besser gestellten Alten, verfügen in der Bundesrepublik über gut ein Drittel des gesamten Geldes der privaten Haushalte. Damit sind die Alten ins Visier der werbenden Industrie geraten, die konzeptionell Schwierigkeiten hat, die Senioren mit Konsumbotschaften zu erreichen: Als Alte lassen sich die Alten erfahrungsgemäß nicht ansprechen, als Junge oder Hipster auch nicht.

Alter, so lautet die Botschaft der Dresdner Ausstellung, ist letztlich nicht zu definieren. Die Schwelle zum Alter, schreibt der italienische Rechtsphilosoph Norberto Bobbio, selbst 88 Jahre alt, habe sich in den letzten Jahren um rund zwei Jahrzehnte verschoben: „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, galt der Achtzigjährige früher als hinfälliger Greis, mit dem sich zu beschäftigen die Mühe nicht mehr lohnte. Heute dagegen beginnt das Alter, wenn man sich den Achtzigern nähert.“

Norberto Bobbio unterscheidet zwischen drei Sorten von Alter. Das chronologische Alter bewegt sich leidenschaftslos in eine Richtung. Das biologische Alter, das durch medizinische Behandlung und psychische Einstellung zwar ausgedehnt werden kann, stößt irgendwann unweigerlich auf den Tod. So ist es vor allem das psychologische Alter, dessen Grenze dehnbar geworden ist. Von den Krisen des biologischen Alters, so Bobbio, kann man sich immer schwerer erholen, von den psychologischen schon eher. Das psychologische Alter ist der massierbare Teil unserer eigenen Lebenszeit: Darauf werden mehr gesellschaftliche Energien verwendet als je zuvor.

Die populäre wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Lebensaltern scheint selbst ein Ergebnis der Verschiebung dieser Schwelle zum Alter zu sein. Vom Generationenkonflikt, der bis Anfang der achtziger Jahre das Reden über Lebensalter wesentlich bestimmt hat, kann kaum noch die Rede sein. Zu hören ist von ihm allenfalls noch durch lebensferne und konservative PolitikerInnen wie Familienministerin Claudia Nolte, die zur Ausstellungseröffnung den Dialog zwischen den Generationen beschwor – weitgehend verkennend, daß es in keiner Phase der bundesdeutschen Geschichte zwischen Alt und Jung so einvernehmlich zuging wie zum Ende der neunziger Jahre.

Das bestätigt auch der Soziologe Martin Kohli, der mit seinen Untersuchungen die Deutungen von der Geschichte der Familie als einer Verfallsgeschichte klar zurückweist. Der Trend zu kleineren Haushaltsgrößen war immer wieder als Indiz gewertet worden, daß wir unaufhaltsam auf dem Weg zu einer egoistischen Gesellschaft seien, deren Mitglieder sich nicht länger für das Schicksal ihrer Herkunftsfamilien interessieren. Man sei froh, die Zwangsgemeinschaft der ersten zwei Lebensdekaden endlich verlassen zu können.

Kohlis Befunde sagen hingegen etwas anderes. Zwar leben viele Familien heute in getrennten Haushalten, aber neun Zehntel der 70- bis 85jährigen mit lebenden Kindern haben mindestens ein Kind in maximal zwei Stunden Entfernung. Der Kontakt zum Elternhaus findet weiterhin statt, und sei es an Geburtstagen mit einem Blumengruß per Fleurop. Es ist eine Errungenschaft der Freizeitgesellschaft, daß die Alten nur noch in Ausnahmefällen auf Nachrichten von den Kindern warten. Oft läuft auch bei ihnen nur der Anrufbeantworter.

Was aber hält die Familie noch zusammen? In ihrer Analyse familiärer Tischgespräche erkennt die Dresdner Soziologin Angela Keppler das System Familie keineswegs als Keimzelle traditioneller Lebensweisen. Sie ist vielmehr der Ort, wo kommunikative Praxis trainiert wird. Je nach Familiensituation können dies Konsens- oder Konflikttechniken sein. Und: Die Familie funktioniert in erster Linie nicht als Gemeinschaft, die über weitgehend übereinstimmende moralische Grundsätze verfügt. Sie konstituiert sich vielmehr als kommunikatives Verfahren. Familie funktioniert und gelingt als Gespräch. Das hat Bestand über die Zeit der häuslichen Gemeinschaft hinaus.

Ein solches Familienverständnis zeigt sich auch in den finanziellen Transfers. Die Alterspyramide, die die Basis eines funktionierenden Sozialversicherungssystems war, ist zum Pilz aufgequollen. Das besorgt Sozialpolitiker zu Recht, aber der familiäre Alltag sieht trotzdem anders aus. Müssen immer weniger Junge für immer mehr Alte Geld in die Rentenkassen einzahlen, so verläuft der tatsächliche Geldfluß immer noch von den älteren zu den jungen Generationen, so daß Kohli zu dem Ergebnis kommt: „Eine Isolierung der erwachsenen Generationen in der Familie voneinander gibt es nur in Ausnahmefällen. Überwiegend sind die Beziehungen eng, und die materiellen wie immateriellen Leistungen erheblich.“ Die demographische Revolution läßt vielleicht das Rentensystem erodieren, aber nicht zwangsläufig auch das soziale Versorgungs- und Kommunikationssystem.

Gegeben und vererbt wird keineswegs erst nach dem Tod. Als vernünftig gilt, wer Besitz beizeiten auf die Kinder überträgt, um so im Krankheits- und Pflegefall das angesparte Vermögen vor dem Zugriff der staatlichen Sozialsysteme zu retten. „Mit warmer Hand gibt's sich besser als mit kalter“, heißt es in einem Erbenspruch. Diese Lebensweisheit wird von den Sparern, die ihre Kinder schon zu Lebzeiten an ihrem Vermögen teilhaben lassen möchten, durchaus geteilt und keineswegs als Unverschämtheit oder Pietätlosigkeit aufgefaßt. Das „Hotel Mama“ ist hierzulande zu einer Kette mit flächendeckender Ausbreitung gewachsen, das über erstaunlich flexible Arrangements verfügt.

Bisweilen nehmen sich die Eltern jedoch auch die Freiheit, die Kinder einfach vor die Tür zu setzen, sobald diese biologisch alt genug sind, für sich selbst zu sorgen. Statistisch aber gilt: Die Verweildauer junger Menschen im Elternhaus wie in staatlichen Institutionen verlängert sich seit Jahrzehnten. Wer aus halbwegs betuchtem Hause kommt, kann es sich leisten, einige Ausbildungsprojekte abzubrechen, ehe er oder sie mit etwas Glück immer noch in einer Branche landet, wo nicht die formale Ausbildung zählt, sondern in erster Linie das kulturelle oder kommunikative Kapital gefragt ist.

Daß aus den jungen Leuten nichts wird, hat schon immer die Sozialwissenschaftler besorgt. In seinem Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ drückte Alexander Mitscherlich bereits 1963 seinen Unmut darüber aus, daß sich die Jüngeren nicht mehr an den Älteren reiben. Die Vorbildrolle des Vaters, an der man sich abarbeiten konnte und mußte, zerfällt, lautete seine nur als Warnung zu verstehende Diagnose.

Den Generationenkonflikt, der eine Konstante des Erwachsenwerdens ist, schien sich vor seinen Augen immer mehr zu verflüchtigen. Mitscherlich befürchtete eine unheilige Allianz zwischen paternalistischer Autorität und Konsumismus. „In der unübersichtlichen Massengesellschaft“, schrieb er, „hat diese autoritäre Form der Eingewöhnung in das soziale Feld aber eine unerwartete Antwort gefunden, nämlich eine Stärkung der Abhängigkeitsbestrebungen und eine Bejahung der Unmündigkeit. Das faktische Gegenbild zu den für unsere Zeitläufte charakteristischen Helden der Massen sind die ,initiativearmen‘ Frühpensionäre, die in ihren Wohlfahrtsstaaten nie flügge werden wollen.“

Die Schlaffis der nachwachsenden Generation, die sich mit der „Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“, herumplagen, fürchtet noch jede älter werdende Generation. Mitscherlich formuliert einige Jahre vor der Studentenbewegung ein Kritikschema, das die sogenannte Achtundsechzigergeneration auf alle Nachgeborenen übertrug: die Vermutung, daß ihnen der Schwung fehlt, politische Veränderungen anzustrengen – also das Werk der Älteren fortzusetzen. Mit Blick auf die Folgegenerationen haben sich die Achtundsechziger so das Primat auf das Politische zu sichern versucht.

Dabei verhalten sie sich kaum anders als alle Generationen zuvor. Den Jungen traut man nicht mehr zu, was man als eigene Leistung bewahrt haben möchte. Was man selber verdient hat, so ein Sprichwort, vermögen die Söhne allenfalls zu erhalten. Die Enkel aber drohen, es zu verspielen: „Der Vater erstellt's, der Sohn erhält's, beim Enkel zerschellt's.“

Das gilt keineswegs nur für die materiellen, sondern auch für die ideellen Güter. In der zitierten Studie Mitscherlichs war nicht zufällig von den unübersichtlichen Verhältnissen der Massengesellschaft die Rede. Unübersichtlichkeit ist noch immer die Waffe, mit der die Jungen die Alten schlagen. Deren Munition sind Sprachspiel, Stile und Sounds. Die Generationenkonflikte des 20. Jahrhunderts waren so gesehen Festivals der Konfusion. Das traf in besonderem Maße die Generation der Achtundsechziger, deren ProtagonistInnen im Namen der Aufklärung angetreten waren.

Als Anfang der achtziger Jahre eine Welle luftiger französischer Theorie nach Deutschland herüberschwappte, war es der Sozialwissenschaftler Jürgen Habermas, der die „Neue Unübersichtlichkeit“ im Namen seiner Generation zurückwies. Merke: Wenn das Wort Unübersichtlichkeit ins Spiel kommt, besteht akuter Verdacht auf Generationenkonflikt. Das gilt auch dort, wo Orientierungslosigkeit als Tugend ausgewiesen werden soll.

Unter diesem Stichwort haben zuletzt die Berliner Trendforscher Johannes Goebel und Christoph Clermont einige Distinktionsgewinne zu verzeichnen gehabt. Dabei wiederholten sie ohne Unterlaß ihre Formel: Konfusion ist klasse. Ihre Botschaft lautet: Das Leben ist kompliziert, die Zukunft unsicher, aber wir kommen schon klar.

„Im Kontakt der Generationen“, schreibt der Berliner Soziologe Heinz Bude, „dominiert ein Vokabular des Gegeneinanders oder der Entgegensetzung.“ Das läßt sich nicht zuletzt an den gegenwärtigen Generationsbezeichnungen ausmachen. In der Geschichte der Bundesrepublik sind die Achtundsechziger die letzte Altersgruppe, von der man im Sinne Karl Mannheims als Generation sprechen kann. Unter dem Eindruck eines historischen Ereignisses bilden Gleichaltrige eine Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft, gleichgültig welche Schlüsse sie aus diesem Ereignis ziehen und welche Wege sie später beschreiten.

Das historische Ereignis, das unter dem Namen „Achtundsechzig“ zusammengefaßt wird, war die Umstrukturierung der gesellschaftlichen Institutionen. Der Marsch durch sie hindurch konnte nicht zuletzt deshalb gelingen, weil die institutionellen Kanäle einer Renovierung dringend bedurften. Alle Altersgruppen danach – ob nun die Null-Bock-, die Sponti- oder die Schlaffi-Generation – begründeten keinen Generationenzusammenhang – sie waren vornehmlich damit beschäftigt, sich von den Achtundsechzigern abzuheben. Die Generationen nach den 68ern verbindet mehr, als sie trennt. Die Fernseh- und Mauerkinder, die Achtundsiebziger und Neunundachtziger, die Generationen U, S, T, W, X, Y und Z bilden alle zusammen – die Generation Golf.

Die VW-Werbung hat recht. Sie alle haben in Mamas Golf Autofahren gelernt, daher stammt ihr Gefühl für Bewegung. Der Generationenkonflikt unserer Tage ist keiner mehr zwischen Alt und Jung. Er besteht vielleicht allein darin, nach 1968 kein prägendes Kollektivereignis gefunden zu haben. Bemerkenswerterweise kommt der Dissens als gesellschaftliche Produktivkraft in der Dresdner Ausstellung nicht vor, obwohl sie überwiegend von Angehörigen der Achtundsechzigergeneration geplant und gestaltet worden ist. Diese Generation ist offenbar längst mit dem eigenen Altern beschäftigt.

Doch selbst der Generationenkonflikt, den die Achtundsechziger mit Vehemenz ausgetragen haben, erscheint bei näherer Betrachtung in einem anderen Licht. Die Bezeichnung Achtundsechzigergeneration, glaubt Bude, hat sich erst Anfang der achtziger Jahre eingebürgert. Als 1977 eine Reihe von Büchern und Artikeln über die Jahre Ende der Sechziger erschien, war noch von der APO und der Studentenbewegung die Rede gewesen. „Die Einführung des Generationsbegriffs zur Bezeichnung des kollektiven Akteurs für die Protestbewegungen am Ende der sechziger Jahre zeugt“, so Bude, „von einer historischen Distanz.“

In seiner erhellenden Arbeit über „Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938 – 1948“ entdeckt Heinz Bude die apokalyptische Erfahrung der Kriegskindheit als verborgenen Bezugspunkt der Bewegung. „Achtundsechzig“ war keineswegs die auf der gesellschaftlichen Bühne ausgetragene Rebellion der Jungen gegen die Generation ihrer Eltern. „Die Geschichte der später so bezeichneten Achtundsechzigergeneration“, schreibt Bude, „stellt sich von ihrer Kindheit her betrachtet als eine Geschichte mißlungener Ent-Identifizierungen von ihren Eltern dar. Sie kommen nicht los von dem ihnen so früh eingepflanzten Lebensgefühl des Schuldig-Geborenseins. Die Revolte der Jugend war so gesehen auch nicht gegen die Eltern gerichtet, sie ist vielmehr als Wiedergutmachung zu begreifen, die die Möglichkeit eines anderen Lebens nach 1945 sichern sollte. Es war eine stellvertretende Rebellion, die im Grunde von einem schützenden Impuls gegenüber den Eltern beherrscht war, die ihre eigene Geschichte nicht mehr tragen konnten. Der Aufruhr gehört zu einem bestimmten Komplex der Bindung. Solange keine andere Geschichte existiert, muß die Generation der Kriegskinder die Geschichte ihrer Eltern zum Austragen bringen.“

Die Rebellion Ende der sechziger Jahre war also weniger ein Aufstand gegen als vielmehr ein Bündnis mit der Generation der Eltern. Ein Bündnis freilich kann ein kompliziertes Verhältnis sein. Der Kontakt von der einen zur anderen Generation verläuft äußerst selten harmonisch. Bude beschreibt das Aufeinanderfolgen von Generationen als einen Bruch von Kontinuitätserwartungen. In der Regel ist es eben nicht so, daß die Jungen die Geschäfte der Alten übernehmen. Übergaben müssen konflikthaft ausgefochten werden. „Die um 1940 geborenen Kriegskinder kannten die Kosten des manischen Ungeschehenmachens und spürten die Verleugnung des alternativlosen Realitätsprinzips. So wurde Negation als legitimes Sozialisationsmodell eingeübt, was einem erlaubte, das Dagegensein als eine Form des Dabeiseins zu erleben.“

Die Generation Golf hat ihre Version des Dabeiseins in provisorischem Bejahen und in der Entfaltung ungeheurer Ironiepotentiale gefunden. In Konflikt mit den Achtundsechzigern war man schon durch das Tragen eines schicken Anzugs zu geraten. Ironie feit aber keineswegs vor frühen Rückenschmerzen. Das Generationenspiel geht weiter. Der Käfer kehrt als „Beetle“ wieder. Und läuft und läuft und...

Norberto Bobbio: Vom Alter, Berlin 1997

Heinz Bude: Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938–1948, Frankfurt 1995

Heinz Bude: Generationen im sozialen Wandel, in: „Alt und jung. Das Abenteuer der Generationen“, Basel und Frankfurt 1997

Martin Kohli: Zwischen den Generationen: Entfernungen, Beziehungen, Leistungen, in: ebenda

Johannes Goebel, Christoph Clermont: Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Berlin 1997

Alexander Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, München 1963

Der Alltag, Thema: Wie alt bin ich?, Berlin 1994

Angela Keppler: Tischgespräche, Frankfurt 1994