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Glückstaugliches Deutschlandmaterial

■ Gabriella Bußacker und die Kommune 97 stellen Auszüge aus ihrem „Deutschland-Projekt“in der Mission vor

Über Deutschland reden. Eigentlich ganz einfach, sollte man meinen, ungefähr so wie Brötchen holen, passiert ja auch jeden Tag. Aber mit Deutschland ist das so eine Sache, besonders in Deutschland. Das ist wichtiger, gewichtiger und auch komplizierter als Brötchen. Wie nun genau, wollten im vergangenen Sommer die Berliner Festwochen klären: Deutschlandbilder hieß das Ausstellungsprojekt, das die gesamte Hauptstadt beschäftigte.

Die Hamburger Theatermacherin Gabriella Bußacker wurde neben dem Berliner Choreographen Jo Fabian vom Hebbel Theater angesprochen, eine Performance zum Thema zu erarbeiten. „Ich dachte sofort, das ist nicht mein Ding. Das einzige, was ich zu diesem Thema beisteuern kann, ist, wie man damit umgeht“, erinnert Bußacker, „also: Unzulänglichkeiten aufdecken.“Mit sechs Schauspielern und drei Musik- und Videokünstlern erarbeitete sie ein Programm, das im September im Theater am Halle-schen Ufer uraufgeführt wurde. Erst bei der Generalprobe des als Doppelprogramm konzipierten Abends sahen die Künstlerin mit der West-Biographie und der Künstler aus dem Osten das Werk des anderen. „Das war faszinierend. Obwohl wir uns ganz verschiedener Mittel bedienen – Fabians Stück z.B. ist still, bei uns reden alle ununterbrochen – geben die Stücke die selbe Zustandsbeschreibung: große Lethargie, Orientierungslosigkeit, Stau.“

Menschen sitzen um einen Tisch und diskutieren Deutschland – nicht clever, nicht theoretisch abgesichert, nicht druckreif. „Es ist ein realistisches Stück“, bemerkt Bußacker, „und eigentlich eine Komödie.“Spielsituationen wechseln mit dokumentarischen und pseudodokumentarischen, Interviews werden eingeblendet, 68, der deutsche Herbst, Mauerfall und Handlungsunfähigkeit sind Thema. In dem kleinen Raum der Mission wird nicht das komplette Stück gezeigt werden, sondern bearbeitete Ausschnitte. Zwei Moderatoren führen show-gerecht durch den Abend, während eine Jury das Material auf seine „Glückstauglichkeit“prüft.

Die Entscheidung, Material des Deutschlandprojekts in dem künstlerisch-sozialen Projekt Mission zu zeigen, hat verschiedene Gründe. Am Anfang standen die große Schlingensief-Gala im Oktober, „der beste Theaterabend im Schauspielhaus seit Zadek“, so Bußacker, und Begeisterung für „den Versuch, Ghettoisierung aufzuheben über kulturellen Austausch“. Dazu kam eine unschöne Überlegung: Obwohl das Deutschlandprojekt von Kampnagel koproduziert wurde, soll es dort nicht gezeigt werden. So wird der morgige Abend vermutlich die einzige Chance bieten, nach Berlin, Frankfurt und Leipzig auch Teile des Stücks in Hamburg zu sehen.

Und wenn Kampnagel-Chef Res Bosshart und Gabriella Bußacker, die zehn Jahre kontinuierlich auf Kampnagel gearbeitet hat, ihren Zwist nicht beilegen, könnte es leider überhaupt die letzte Inszenierung Bußackers in Hamburg auf unabsehbare Zeit sein.

Christiane Kühl

morgen, 20 Uhr, Mission, Ernst-Merck-Str. 9

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