Polizeigewalt nach Deeskalation

■ Prozeß gegen drei Polizisten wegen Körperverletzung im Amt: Beamte schlugen Ehemann, nachdem er trotz gleichen Sorgerechts freiwillig seiner Frau das gemeinsame Kind gegeben hatte

Scheidungen sind meist unerfreulich. Trennt sich ein Ehepaar, das ein gemeinsames Sorgerecht für den Nachwuchs hat, kann es zu unangenehmen Auseinandersetzungen kommen. Wird dann auch noch die Polizei gerufen, scheint ein Fiasko vorprogrammiert.

Solch eine Erfahrung mußte der Arzt Gerd Ludger* machen. Seine Ehefrau hatte ihn verlassen und war kurz darauf mit dem sieben Monate alten Sohn zurückgekehrt. Einen Tag später fand er einen Brief seiner Ehefrau, in dem sie ihm mitteilte, daß sie wieder ausgezogen sei. Den Sohn hatte sie mitgenommen. Nach einem Telefonat wußte Ludger, daß Frau und Kind bei ihrer Anwältin waren. Auf dem Weg dorthin sah er seine Frau mit dem Kinderwagen auf dem Bürgersteig. Der Vater, ausgestattet mit dem gleichen Sorgerecht wie die Mutter, beschloß, den Sohn mit in die eheliche Wohnung zu nehmen. Er legte das Kind ins Bett, ging einkaufen, gab ihm den Abendbrei und ließ Wasser in die Badewanne, um es zu baden.

Kurz darauf sah er durch das Fenster seine Ehefrau in Begleitung von etwa zehn, zum Teil uniformierten Polizisten. Der Arzt geriet in Panik, die ihm auf den Magen schlug. Zur Beruhigung nahm er ein Magenschutzmittel. Dann klopfte es an der Tür. Er wurde aufgefordert zu öffnen. Seine Frage, was gegen ihn vorliege, blieb unbeantwortet. Seine Frau forderte ihn lediglich auf, den Sohn herauszugeben. Ludger antwortete, daß er das gleiche Sorgerecht wie sie habe. Es folgten mehrere Aufforderungen, die Tür zu öffnen, und diverse Wortwechsel zwischen den Eltern. Ludger wurde immer erregter und drohte, mit dem Kind aus dem Fenster zu springen, wenn die Tür aufgebrochen würde. Während die Eltern durch die weiterhin geschlossene Tür über den Verlauf der Trennung stritten, wurde die Feuerwehr gerufen. Als ein Feuerwehrmann auf Ludgers Argumente einzugehen begann, ließ der Arzt ihn in die Wohnung. Wenig später – Ludger hatte sich beruhigt – ließ er auch seine Frau und die Polizisten rein. Er gab ihr das Kind mit den Worten, daß er es auch mal für sich haben wolle. Ende gut, alles gut?

Weit gefehlt. Nunmehr sah sich Ludger auf dem Wohnungsflur drei Beamten gegenüber, die sich auf ihn stürzten. Nach seinen Angaben schlugen sie so heftig auf ihn ein, daß er gegen den Badezimmerschrank und dann in die halbvolle Badewanne stürzte. Anschließend wurde er mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor der Wohnungstür auf den Boden gelegt. Kopfüber wurde er die Treppe heruntergeschleppt und, mit dem Kopf auf dem Boden des Einsatzwagens, zur Wache gefahren. In der Polizeizelle wurde er bis auf die Unterhose ausgezogen. Erst in der Psychiatrie des Krankenhauses Moabit, wohin er in Handschellen gebracht worden war, erfuhr er den Hintergrund: Ein Arzt sagte ihm, daß er – entgegen den Tatsachen – geschieden sei und seine Frau das Sorgerecht für das Kind habe. Die Folgen des Polizeieinsatzes: Ludger hatte ein Hämatom und eine Blutung im linken Auge, Schürfwunden am Kinn und am rechten Oberarm und eine Rißwunde an der Nasenwurzel. Der Arzt war eine Woche lang arbeitsunfähig.

Dieser Vorfall ereignete sich bereits im August 1995, am Dienstag kommender Woche wird die Strafanzeige nun vor Gericht verhandelt. „Es gab keinen Grund für den harten Polizeizugriff“, kritisiert Ludgers Anwalt, Hans-Joachim Ehrig. Denn der Feuerwehrmann habe sein Funkgerät auf Empfang gestellt, so daß die Polizisten vor der Tür das deeskalierende Gespräch mitgehört haben müssen. Nach Überzeugung von Ehrig beruht der Einsatz möglicherweise auf der falschen Behauptung, die Ehefrau habe das alleinige Sorgerecht. In jedem Fall hätten die Polizisten nach einem Beschluß des Familiengerichts fragen müssen. Derzeit läuft das Scheidungsverfahren. Das Kind lebt bei der Mutter. Barbara Bollwahn

*Name von der Redaktion geändert