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Vom Fabriketagen-Wohnen zur Loft-Kultur

■ Längst entspricht der sanierte Altbau nicht mehr den Wohnbedürfnissen derer, die in den Kreuzberger Fabriketagen einst das kollektive Leben erprobt haben und jetzt zu Geld gekommen sind

Glaubt man der Firma Realprojekt, handelt es sich beim Loft-Living in Berlin um den neuesten Schrei. Nachdem Andy Warhol in den sechziger Jahren die ersten Fabriketagen im New Yorker Stadtteil SoHo entdeckte und sich die Umnutzung alter Fabriketagen in den vergangenen Jahren in London zu einem regelrechten Boom auswuchs, sei der Trend nun auch in Berlin angekommen.

Wer sich freilich die alten Fabriketagen in den Paul-Lincke-Höfen anschaut, bevor Ende dieses Monats mit der Sanierung begonnen wird, weiß, daß es sich bei dieser Behauptung um eine pure Marketing-Strategie handelt. In nichts unterscheiden sich die Paul-Lincke-Rohlinge von jenen Fabriketagen in der Pfuel- oder Yorckstraße, in denen zahlreiche Gruppen in den 80er Jahren ihren Traum vom kollektiven Leben verwirklichen wollten. Lange vor den Loft-Pionieren haben Alternative und Autonome die Vorzüge des Fabriketagen-Wohnens schätzengelernt: Leben in großen, hellen Räumen mit individuellem Gestaltungsspielraum und Flexibilität.

Nachdem im Zuge des Vereinigungsfiebers Fabriketagen für Wohnkollektive größtenteils unerschwinglich geworden waren, setzen die Kreativen in der Immobilienbranche nun auf die gleichen Vorzüge, nur unter veränderten Vorzeichen. Statt 15 leben auf 300 Quadratmetern nun zwei Personen – für den doppelten Preis.

Wer da freilich glauben mag, daß nun auch die Revolution in der Wohnkultur ihre Kinder frißt, kann leicht irren. Nicht selten sind es die Revolutionäre von einst, die – zu Geld und höheren Ansprüchen gekommen – nunmehr von den kollektiven Ideen von einst nichts mehr wissen wollen. Geblieben ist dabei die sinnliche Erfahrung eines offenen Wohnalltags ohne trennende Wände. Kollektive Räume statt Kollektivität ihrer Bewohner.

In diesem Sinne haben die Loft- Entwickler der Firma Realprojekt tatsächlich Pionierarbeit geleistet. Mit einiger Plausibilität kann tatsächlich behauptet werden, daß das Wohnen im renovierten Altbau den tatsächlichen Wohnbedürfnissen einer zu Geld gekommenen alternativen Mittelschicht nicht mehr entspricht.

Ob das Loft-Living dem Immobilienmarkt im zunehmend verarmenden Berlin auf die Sprünge helfen wird, darf freilich bezweifelt werden. Ebenso, daß damit weitgehende Aufwertungserscheinungen einhergehen werden wie seit einigen Jahren im New Yorker Stadtteil Tribeca, wo sich in unmittelbarer Nähe zu SoHo fortsetzt, was dort in den 60er Jahren begonnen hat. Zu klein ist die Yuppieszene der Stadt, obwohl es an verfügbaren Fabrikräumen in der Tat nicht mangelt.

Weniger New York als vielmehr London dürfte deshalb das sozialräumliche Modell der Berliner Loft-Entwicklung werden. So befindet sich eines der ambitioniertesten Projekte, das York Central, am King's Cross, einer ärmlichen Gegend im Norden Londons, die von Drogenhandel und Prostitution gekennzeichnet ist. Anders als teure Wohnungen, so lautet die Londoner Erfahrung, lassen sich Lofts auch in Quartieren mit ausgesprochen schlechtem Ruf verkaufen.

Auf diese Londoner Dialektik des Immobilienmarkts scheinen auch die Projektentwickler der Paul-Lincke-Höfe zu hoffen. Als Grund für die scheinbar widersprüchiche Kompatibilität zwischen Luxus und Armut nennt Realprojekt-Sprecher Willo Göpel die veränderte Lebenskultur der Reichen. Nicht mehr um das Zurschaustellen des eigenen Reichtums gehe es den Wohnpionieren der späten Neunziger, sondern um die Wohnkultur in den eigenen vier Wänden. Anders gesagt: mit dem Stattauto zum Einkauf fahren und es sich anschließend im Designerambiente des „New Berlin“ gemütlich machen. Uwe Rada

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