: Sammelt nicht nur Blondinen
■ Der Bremer Bildarchivar Peter Kurze hortet 200.000 Fotos – alte Autos und viele Motorräder, aber auch Handelsschiffe und Kaiser Wilhelm finden sich in seinem Archiv
Dieses Hobby teilt Peter Kurze mit vielen anderen Zeitungslesern: Er liest Todesanzeigen. Etwa solche: Wolfgang war der Sauerstoff in meinem Leben. Oder: Opas Spruch war: Alle Menschen müssen sterben. Vielleicht auch ich. Oder: Seit Tagen schlich der Sensemann um unser Haus. Am Dienstag ... führte er Freddy heim ins Reich. Und weil Kurze einen kleinen Bremer Verlag sein eigen nennt, hat er aus solchen Trouvaillen ein Büchlein gemacht. Doch sein Interesse an Todesanzeigen geht in Wahrheit weiter: Bekommt er mit, daß irgendwo in Deutschland ein Fotograf gestorben ist, setzt er umgehend ein Schreiben an dessen Witwe auf. Darin steht: Sollte es ein Fotoarchiv geben oder eine Sammlung von Negativen, bitte schmeißen Sie es nicht weg! Reißen Sie es nicht auseinander! Bieten Sie es Ihrem Staatsarchiv an. Oder mir. Gegen Bezahlung, versteht sich.
Peter Kurze (55) hat es mal mit einem Maschinenbau- und BWL-Studium versucht. Später hat er in der Vahr Borgward-Ersatzteile verkauft. Einmal veröffentlichte er ein Buch mit Bildern vom ollen VW-Kübelwagen, das mag er heute nicht mal mehr vorzeigen, aber „es wurde wie blöd gekauft“. Da hatte er was kapiert: Historische Bilder sind in der Oldtimer-Szene von ganz hohem Stellenwert. Er begann systematisch nach altem Bildmaterial zu suchen. Seine Todesanzeigen-Lektüre erwies sich schließlich als so erfolgreich, daß er heute stolz und hoffnungsfroh das respektable Bildarchiv P. Kurze präsentieren kann – mit ca. 200.000 Bilddokumenten, insbesondere zur Automobil- und Motorradgeschichte in Deutschland, BRD und DDR. Aber auch zum Flugzeugbau in Bremen, zur AG Weser, zusätzlich ca. 1.000 Fotos von Handelsschiffen. Die Bilder verleiht er an Verlage und Zeitungen. Archivteile, die er zwar geborgen hat, aber nicht gebrauchen kann, versucht er zu verkaufen. Doch wenn ihm Fotos besonders gut gefallen, macht er selbst ein Buch draus. Ruck , zuck.
Ein Glücksfall war natürlich der Nachlaß des Lloyd-Werks- und Werbefotografen Gerhard Schammelt, der Kurze zufiel. Lauter todschicke 50er Mädels vor Hochglanz-Töfftöffs. Einen Volvo-Kombi voller Bilder kaufte er der Witwe für läppische 5.000 Mark ab. Erfolgreich waren auch Exkursionen des Archivjägers in den deutschen Osten. Den Motorradwerken Zschopau leierte er alte MZ-Werksfotos aus dem Kreuz, man sieht den müffelnden Zweitakter in seinem ewigen Ostdesign vor Sonnenuntergang oder neben drei schwer hochtoupierten Blondinen. Jüngst erst beerbte Kurze einen Erfurter Pressefotografen, dessen Archiv die Nachkriegsgeschichte der Stadt repräsentiert. Herrliche Bilder, auf denen sich Nachkriegsmänner in Wehrmachtsmänteln über das erste Nachkriegsmoped der DDR beugen. Aber auch – eine Auftragsarbeit der Amerikaner und später der Russen – KZ-Aufnahmen. Mit solchen Bilder weiß Kurze allerdings nichts anzufangen und sucht kaufwillige Interessenten. Ebenso geht es ihm mit einem Karton voller Frauenfotos, darunter allerliebste Softpornos aus den 50ern oder Werbefotografie für Nivea. Kurze: „Tausche Frauen - gegen Autobilder.“
Jüngster Fischzug: das „Gummikuh“-Archiv einer Bremer Zeitschrift für BMW-Motorrad-Fans. 400 Fotos für 300 Mark, das war o.k. Vielleicht wird ja auch hier mal ein Buch draus. Woraus bestimmt noch kein Buch wird: aus Kurzes Opel Manta-Fotos. „Eine fiese Sache, die fasse ich vorerst nicht an.“
BuS
Homepage über das Archiv ist unter: http://home.t-online.de/home/pk.bremen/hauptsei.htm abzurufen.
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